Ringo Starr - Postcards from paradise
Roccabella / UniversalVÖ: 27.03.2015
Immer locker bleiben
Ein großer Sänger war Ringo Starr nie, und er wird es auch in diesem Leben nicht mehr werden. An sich überhaupt kein Problem – warum die Stimme des Beatles-Drummers aber auf seinem 18. Soloalbum "Postcards from paradise" durch massiven Autotune-Einsatz bis zur Unkenntlichkeit verfälscht wurde, bleibt das Geheimnis seiner Produzenten. Denn obwohl Starr keinen großen Stimmumfang besitzt, kann er allemal volltönend und souverän singen, was auch zahlreiche jüngere Live-Aufnahmen belegen. Besonders störend fällt die übertriebene Effektbeladung des Gesangs in dem entspannten Altherren-Rocker "Bridges" auf, in welchem Starrs Stimme bisweilen maschinelle Züge annimmt. Das lässige Gitarrensolo des Eagles-Saitenzupfers Joe Walsh entschädigt allerdings hier für diesen Schönheitsfehler.
Auch im Titelsong begrüßt den Hörer Robo-Ringo am Mikrophon und reiht Zitate aus diversen Beatles-Songs aneinander, während im Hintergrund die All-Starr-Band mit der Gemütlichkeit eines Kreuzfahrtdampfers der unvermeidlichen Kitsch-Bridge entgegenschippert. Nötig wäre das nun wirklich nicht gewesen, doch so recht übelnehmen kann man Ringo derlei Fehltritte nicht. Getreu seinem ehernen Motto "Peace and love" lässt der 74-Jährige den Dingen ihren Lauf und sich in keiner Sekunde aus der Ruhe bringen. Die Folge ist, dass der Großteil der Songs leider nicht recht aus den Puschen kommt. Ein bisschen Midtempo-Geschunkel hier, ein wenig angetäuschter Reggae dort. Und als Krönung dann eine waschechte Schnulze samt Streichern und Backgroundchor: "Not looking back" ist so schleimig, dass nur rutschfestes Schuhwerk vor einer Bauchlandung schützen kann.
Ringo Starr vorzuwerfen, er würde nichts wagen, zielt allerdings an der Realität vorbei. Er müsste wahrlich nicht mehr auf Bühnen herumturnen und Alben aufnehmen. Doch der Mann kann nicht anders, und es gibt immer noch Momente, wo man ihm die pure Freude am Musizieren anhört. Das flotte "Bamboula" etwa ist eine hübsche Abwechslung zum eher drögen Rest des Albums, Hornsection und Bongo-Backbeat inklusive. Auch dem von Starr und Band gemeinsam geschriebenen "Island in the sun" kann bis auf das grausige AOR-Saxophon wenig vorgeworfen werden. Das Stück, das am längsten in den Gehörgängen bleibt, ist jedoch "Rory and The Hurricanes", in welchem Ringo sich augenzwinkernd an seine erste Band zurückerinnert.
Starrs Songs sind einfach, enthalten keine überraschenden Elemente und enden genau dann, wenn der Refrain oft genug wiederholt wurde. Verrücktheiten und der sogenannte Zeitgeist müssen draußen bleiben. Sich selbst nimmt der Ex-Pilzkopf ja ohnehin nie allzu ernst: Der Engländer weiß um seine Limitierungen und macht seit über 50 Jahren das Beste daraus. Ihm fiele es nicht einmal im Traum ein, Songs mit Kanye West und Rihanna aufzunehmen. Stattdessen wird mit alten Weggefährten gejammt und getourt, die Sonnenbrille poliert und in unnachahmlicher Manier dem charmanten Understatement gefrönt. Die 20 Alben macht er sicher noch voll, der alte Schlawiner. In Zukunft aber hoffentlich wieder ohne Roboterstimme.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Rory and The Hurricanes
- Bamboula
Tracklist
- Rory and The Hurricanes
- You bring the party down
- Bridges
- Postcards from paradise
- Right side of the road
- Not looking back
- Bamboula
- Island in the sun
- Touch and go
- Confirmation
- Let love lead
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Desare Nezitic
2015-04-30 00:28:52
Neben dem genannten Autotuning störte mich beim Hören v.a. die Gleichförmigkeit
Das ist natürlich das auffälligste Merkmal eines jeden Ringo-Albums und beschreibt das, was ich mit fehlenden Songwriterqualitäten meine, die mit Beihilfe von anderen Songwritern aufgefangen werden sollen. Ab und zu sind einzelne Songs, meist die mit den zusagensten Lyrics, als Picks durchaus lohnenswert, damit ist dann aber auch der ganze Rest quasi ebenso bekannt.
Christopher
2015-04-30 00:20:39
Also ne 7 war da für meine Ohren unmöglich drin. Ich mag Ringo auch, und ich höre auch seit Ewigkeiten (in fanatischen Anfällen) die Beatles. Aber die Vergangenheit ist nur für das "Drumherum" wichtig.
Neben dem genannten Autotuning störte mich beim Hören v.a. die Gleichförmigkeit und Behäbigkeit der meisten Songs. Alles geleckt, alles steril, und das steht mMn Ringo überhaupt nicht. Live funktioniert der Mann ganz anders: Zwar hat er auch da ne perfekt funktionierende Band hinter sich, aber er kann durch seinen Charme deren Sterilität überwinden.
Auf Platte funktioniert das leider nicht. Das Album ist wahrlich kein Desaster, aber eben auch nicht viel mehr als "gerade so okay" für mich.
Desare Nezitic
2015-04-30 00:12:19
Ringo muss ein wirklich sehr, sehr sympathischer Mensch sein, das kommt in seinen positiven Stimmungen der Lieder sehr deutlich zum Ausdruck. "Liverpool 8", ein älterer Song, mag ich zum Beispiel sehr. Ein simpler, aber sehr schöner und schwelgerischer Song, der voller Zufriedenheit zurückblickt.
Unterm Strich wird aber deutlich, dass er eben kein allzu großer Songwriter ist, was sich alleine schon an der zahlreichen externen Hilfe zeigt. Werde mir das Album aber mal anhören, als Beatle verpflichtet dies sozusagen dazu.
Telecaster
2015-04-29 23:56:23
Finde das Album eigentlich durchgehend nicht übel, trotz des Autotunings. Hey, es ist immerhin Ringo. Sein Solokram war halt immer schon ein bißchen cheesy, und da fällt die neue nicht ab. Mehr als 4/10 ist da schon drin, für mich eher ne 6 oder 7.
Armin
2015-04-29 23:38:46
Frisch rezensiert! Meinungen?
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