SoKo - My dreams dictate my reality

Because / Warner
VÖ: 27.02.2015
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Pommes für Peter Pan

Der letzte Irak-Krieg ist auch schon wieder eine gefühlte Ewigkeit her. Viele Spätgeborene wissen womöglich gar nicht mehr, wie schlecht damals das Verhältnis zwischen Europa und Amerika war. Die USA nahmen es "Old Europe" und ganz besonders Frankreich ziemlich übel, dass sie nicht mit einmarschieren wollten. Die Folge: Viele Restaurants benannten ihre French fries trotzig in Freedom fries um. Quel malheur! Doch Frankreich hat den Verlust der Pommes, die übrigens ohnehin aus Belgien stammen, gut verkraftet. Und überhaupt hat sich das Verhältnis mittlerweile so sehr entspannt, dass Schauspieler wie Marion Cotillard in Hollywood höchste Meriten absahnen können. Auch Stéphanie Sokolinski, alias SoKo, scheint sich in den USA pudelwohl zu fühlen. Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren machte die Französin mit ihrem bitterbösen Song "I'll kill her" ihren charmanten Akzent zum Markenzeichen. Kokett und auch ein bisschen verrückt las sie dem untreuen Ex die Leviten, verschluckte konsequent den Buchstaben h – und landete damit einen viralen Hit. Auch dem verspulten Neo-Folk und Indiepop auf SoKos Debütalbum "I thought I was an alien" gab ihr entzückendes Englisch á la française das gewisse Extra. Seitdem sind aber auch schon wieder drei Jahre ins Land gegangen. Und jetzt das: Auf Studioalbum Nummer zwei der Wahl-Amerikanerin ist der putzige Akzent so gut wie verschwunden.

Doch wäre es ungerecht, "My dreams dictate my reality" alleine auf die Fortschritte in Sachen Aussprache zu reduzieren. Vielmehr ist SoKos Weiterentwicklung auf allen Ebenen spürbar. Die Songs sind ausgefeilter und die Arrangements komplexer als auf dem Debüt. Und dann erst die Produktion, für die im Übrigen Ross Robinson (Korn, Limp Bizkit) verantwortlich zeichnete: Ein breitbeiniger 80s-Vibe liegt über dem Album und steht Songs wie der bärenstarken Single "Who wears the pants?" bestens zu Gesicht. Casio-Synthies fiepen durch die Szenerie, die Gitarre twangt mit leichtem Hall, und es würde kaum verwundern, wenn sich plötzlich Pat Benatar als Gastsängerin einschaltete.

Zwar geht es auf Albumlänge meist ruhiger zu als auf der rockigen Single, doch gereicht dies "My dreams dictate my reality" eindeutig zur Stärke. Im wunderschönen Opener "I come in peace" regiert statt Bratzigkeit eine sanfte Melancholie, die SoKo bestens liegt – und die sich von den wütenden Anklagen und düsteren Lamentos ihrer früheren Songs stärker unterscheidet als ein Croissant von einem Big Mac. Mit 28 Jahren traut sich die Sängerin offenbar mehr zu, lässt auch mal Raum für Zwischentöne und erobert fleißig neue Themenfelder wie zum Beispiel die Psychoanalyse. Im dunkel gehaltenen Titeltrack martert SoKo sich mit Zeilen wie: "My dreams reflect my insanity [...] / I don't hear dolphins singing / I just hear people dying".

Mögen derlei Aussagen auch Anlass zur Sorge über den Gesundheitszustand der Französin geben, so macht "My dreams dictate my reality" auf musikalischer Ebene eindeutig Hoffnung. SoKo strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Einen abgedrehten Gute-Laune-Track wie "Temporary mood swings" schultert sie ebenso überzeugend wie die verhuschte Ballade "Monster love" oder das in eine Hymne ausufernde "Peter Pan syndrome". Nicht zu vergessen das charmante Liebesduett "Lovetrap" mit Ariel Pink. Es macht Spaß, SoKo beim Entdecken der unbegrenzten Möglichkeit zuzuhören. "I refuse to grow up", singt sie an einer Stelle. Da müssen wir widersprechen. Aus der verbitterten Göre von einst ist eine echte Musikerin mit interessanten Ideen und starken, stellenweise großartigen Songs geworden. Und, wie gesagt: Englisch spricht sie jetzt auch fast akzentfrei. Ob das wegen oder trotz ihrer Wahlheimat der Fall ist, sei dahingestellt.

(Mark Read)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I come in peace
  • Who wears the pants?
  • Temporary mood swings
  • Peter Pan syndrome

Tracklist

  1. I come in peace
  2. Ocean of tears
  3. Who wears the pants?
  4. My precious
  5. Bad poetry
  6. Temporary mood swings
  7. My dreams dictate my reality
  8. Monster love
  9. Peter Pan syndrome
  10. Lovetrap (feat. Ariel Pink)
  11. Visions
  12. Keaton's song
Gesamtspielzeit: 43:12 min

Im Forum kommentieren

Leatherface

2015-03-11 19:08:00

The Cure/Siouxsie-Postpunk-Gitarren, 80er-Keyboards, knackige Popmelodien, selbst die Stimme ist ähnlich. "Who Wears The Pants?" und "I Will" sind nahezu identisch.

Lichtgestalt

2015-03-11 18:46:26

Also den Soundvergleich mit Sky Ferreira kann ich nun mal gar nicht nachvollziehen.

Leatherface

2015-03-11 17:49:52

Sie sieht jetzt aus wie Sky Ferreira, klingt jetzt wie Sky Ferreira und kollaboriert mit Ariel Pink, der mit Sky Ferreira kollaboriert hat.

Nichtsdestotrotz, gutes Album.

Mark

2015-03-07 21:42:07

@Dodo:
Ist Dein gutes Recht, keine Sorge :) Ich finde den Einstieg richtig stark, aber wie gesagt fällt das Album meiner Meinung nach eigentlich nie ab. Sieht man ja auch an der Verteilung der Highlights in der Rezension ...

Dodo

2015-03-07 18:43:09

@Mark

Mir geht es da ganz anders. Von "I Come in Peace" bis "My Dreams Dictate My Reality" finde ich das Album relativ schwach, ab "Monster Love" bis zum letzten Song "Fantastic Planet" wiederum richtig klasse.
Das hatte ich bislang auch noch nie, dass ein Album erst ab der zweiten Hälfte richtig gut wird.

Geht es anderen zufällig auch so?

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  • SoKo (15 Beiträge / Letzter am 25.02.2010 - 00:01 Uhr)