The Decemberists - What a terrible world, what a beautiful world

Beggars / Rough Trade / Indigo
VÖ: 16.01.2015
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Zwischen den Extremen

Ende Oktober steht ein bärtiger Mann mit modisch-runder Brille und leichter Wölbung unter dem Jeanshemd an einer Straßenecke im New Yorker Stadtteil Brooklyn und hält eine Gitarre in der Hand. Er könnte Lehrer sein oder Architekt oder eben Musiker, Profi-Sportler hingegen eher nicht. Eigentlich ist es ja auch gar nicht ungewöhnlich, dass in Brooklyn jemand unter freiem Himmel musiziert, leben dort doch die Künstler und die Freigeister, die Kreativen und die Fantastischen. Doch dieser Mann hier ist kein normaler Straßenmusiker, nein wirklich nicht, sondern vielmehr ein richtiger Rockstar. Also kein Rockstar in dem Maße, wie vielleicht Axl Rose einer ist, Gott bewahre, aber einer, der mit seiner Band zumindest schon mal bei den "Simpsons" parodiert wurde, der Beiträge für die Soundtracks von Hollywood-Blockbustern komponierte und auch ansonsten viel von der Welt zu sehen bekommt, wenn er mal wieder auf Tour ist. Seine Band heißt The Decemberists und er, Colin Meloy, wird heute ein paar Hörproben spielen, vom neuen, siebten Album. Die Anwesenden schwelgten dazu: Was eine schöne Welt!

Auch seine Band hat in den letzten Jahren kaum einen Grund sich zu beklagen: "The king is dead", ihre letzte Platte, landete überraschend auf dem ersten Platz der amerikanischen Billboard-Charts und ließ damit omnipräsente Globalphänomene wie Kanye West oder Taylor Swift hinter sich. Trotz oder gerade wegen des großen Erfolges legen The Decemberists auf ihrem neuen Album den Fokus auf den Dualismus aus Gut und Schlecht, der die Welt in Spannung hält und jeden Tag aufs Neue munter aus der Zeitung grüßt. "What a terrible world, what a beautiful world" wird dadurch natürlich nicht zu einer politischen Platte, auch wenn sich Meloy und Co. eingehend mit gesellschaftlichen Themen befassten. Im seligen "12/17/12" lassen The Decemberists eine Rede Barack Obamas anlässlich des Amoklaufs an einer Grundschule in Newton, Connecticut Revue passieren. Meloy verarbeitet in diesem kurzen, von Mundharmonika und Akustikgitarre getragenen Song das Geschehene mit Fingerspitzengefühl und genügend Distanz, beschreibt eindrücklich die Hilflosigkeit, die einen umklammert, wenn man von einer solchen Tragödie erfährt.

Doch The Decemberists beherrschen nicht nur schwere Kost, sie waren seit jeher auch eine Band mit feinem Humor, was allerdings oftmals im barocken Bombast unterging. "The singer addresses his audience" zeigt jedoch, dass die Band aus Portland, Oregon auch mal mit einem großen Augenzwinkern ein Lied über das manchmal extreme Verhältnis von Fans und Künstlern schreiben kann, dem die Ironie nur so aus allen Poren tropft: "We're aware that you cut your hair / In the style that our drummer wore in the video." Anschließend wird es hymnisch: Majestätische Bläser stehen dem "Cavalry captain" Spalier, Meloy klingt wie ein junger Michael Stipe und auch sonst werden alle Kräfte gebündelt, um hier etwas Besonderes entstehen zu lassen. Nach dem unterkomplexen "Philomena", das man getrost als Streichkandidat bezeichnen darf, liefern uns The Decemberists mit "Make you better" einen weiteren Höhepunkt. Der Song geht ohne Umwege in Ohr und Solarplexus und setzt sich dort hartnäckig fest. Man will ihn aber auch gar nicht mehr los werden.

"What a terrible world, what a beautiful world" ist letztlich ein Album geworden, das sich wie ein Portfolio der bandeigenen Möglichkeiten vor dem Hörer ausbreitet. Es gibt den großzügigen Pomp, der "The crane wife" durchwirkte, leichte Anflüge von Progrock im fünfminütigen "Till the water is all long gone", die man so auch vom herrlich-verwirrenden "The hazards of love" kennt und natürlich warmen, kratzigen Folk, der zuletzt tonangebend war. Dabei ist natürlich nicht alles immer zwingend, aber als repräsentative Leistungsschau, die bitte nicht als muckerhaftes Muskelspiel missverstanden werden darf, kann dieses Album auf jeden Fall begeistern. The Decemberists reichen dem Hörer die Hand und laden ihn ein, auf eine Kutschfahrt durch die Stile, auf eine Reise durch die Epochen, auf einen Balanceakt zwischen Licht und Schatten. Diese Platte ist das Ticket in eine Welt, wie sie sich uns täglich offenbart: Manchmal schrecklich, manchmal schön, meistens irgendwas dazwischen.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cavalry captain
  • Make you better
  • Lake song
  • A beginning song

Tracklist

  1. The singer addresses his audience
  2. Cavalry captain
  3. Philomena
  4. Make you better
  5. Lake song
  6. Till the water is all long gone
  7. The wrong year
  8. Carolina low
  9. Better not wake the baby
  10. Anti summersong
  11. Easy come easy go
  12. Mistral
  13. 12/17/12
  14. A beginning song
Gesamtspielzeit: 53:22 min

Im Forum kommentieren

Yersinia

2023-09-26 17:38:35

Her majesty gefällt mir nicht. Wäre Platz 7. (5/10)

Und das letzte Machwerk... ne.

Telecaster

2023-09-26 14:45:02

Und wo in deinem Ranking ist Her Majesty? Ist meine persönliche Nummer 1 der Dezemberer.
I'll Be Your Girl fehlt auch.

Yersinia

2023-09-24 23:49:24

Fantastisches Album.

Würde alles derzeit so einordnen:

1. Crane Wife 10/10
2. Picaresque 9.5/10
3. What a trerrible World 9/10
4. The King is Dead 8.5/10
5. Castaways 8.5/10
6. Hazards 8/10

Telecaster

2020-01-08 17:08:17

Bei mir steht Her Majesty an der Spitze, die beiden von dir genannten dahinter. What A Terrible World... konnte sich bei mir irgendwie nicht so ganz durchsetzen. Nettes Album, aber auch nicht mehr.

MopedTobias (Marvin)

2019-12-31 12:11:09

Ich möchte in meinem Posting von vor dreieinhalb Jahren "Philomena" bitte durch "Make you better" ersetzen. DAS ist wirklich ein Übersong.

Album steht auf Platz drei ihrer Diskographie bei mir, finde nur die Meisterwerke "Picaresque" und "The crane wife" klar stärker.

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