Belle & Sebastian - Girls in peacetime want to dance

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 16.01.2015
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

War is over

Es ist wohl nie gut, wenn man Musik, eine Kunstform, mit einer ökonomischen Situation gleichsetzt – dennoch muss man sagen, dass die Schotten von Belle & Sebastian mit ihrem neunten Studioalbum "Girls in peacetime want to dance" gut gewirtschaftet haben: Als eine der ersten größeren Veröffentlichungen im neuen Jahr ist ihnen eine gewisse Aufmerksamkeit sicher, die zeitige Ankündigung weckte früh das Interesse. Das (nicht nur) in der heutigen Zeit politisch sicher nicht ganz korrekte Cover darf und soll kontrovers diskutiert werden und lenkt damit ebenso das Augenmerk auf das Album. In Interviews übt sich Mastermind Stuart Murdoch im Schlagworte-Hochwurf, von einer "Rückkehr zum alten Sound" ist die Rede, von "Synthie-Pop à la Pet Shop Boys", von der Schaffung eines "Konzeptalbums", hier und da erzählt er von seinem Film "God help the girl" oder auch früheren Werken wie "Tigermilk", "Dear catastrophe waitress" und natürlich "If you're feeling sinister" von 1996, dem womöglich besten Album seiner Band.

All das spielt bei "Girls in peacetime want to dance" aber eigentlich gar keine Rolle. Das Cover ist weitaus gewagter, als es der Sound jemals sein könnte, also doch wieder im Grunde harmlos. Die großen Begrifflichkeiten sind ungenau: Belle & Sebastian hatten nie die eine Stilrichtung, die sie verfolgt haben, und selbst hier wandeln sie zwischen tanzbaren Stücken und melancholischen Brocken, wie sie es immer getan haben. Murdoch habe sich beim Schreiben in ein junges Mädchen namens Allie hineinversetzt und die Songs aus ihrer Perspektive schreiben wollen, einer Literatur-Anhängerin, die sich in ihren Tagträumen auf die Spur von Sylvia Plath begibt und ansonsten im Haus auf- und ablaufend über ihre Situation nachdenkt. Das klingt interessant und funktioniert in Titeln wie dem Opener "Nobody's empire" geradezu prächtig, der sich wohl nicht zufällig an eben jenes "If you're feeling sinister" anlehnt, ohne eine bloße Kopie zu sein. Gegen Ende wird die Instrumentierung üppiger, dennoch klingen Belle & Sebastian trotz Blasorchester und stattlichem Chor im Hintergrund fast schon folkig.

Obgleich die Band auch in der Vergangenheit diversen musikalischen Experimenten nicht abgeneigt war und sich auch schon in elektronischere Ecken gewagt hat, gestalten sich ausgerechnet diese Songs etwas schwieriger: Die Dancefloor-Single "The party line" stampft fast schon zu laut auf, eine wirklich ausgelassene Stimmung wird dabei nicht erzeugt, sondern eine aufgezwungene. Wie ein unechtes Lächeln auf einem zu kontrastreichen Foto, das anschließend durch den Instagram-Filterwolf gedreht wurde. Der 80er-Jahre-Schmalz-Elektropop von "Enter Sylvia Plath" fühlt sich falsch an, "Play for today" klingt wie der Titeltrack einer Teenie-Soap, die sich seit 1998 keiner mehr angesehen hat. Klar ist, dass Murdoch & Co. es unter der Regie von Produzent Ben H. Allen III. (Animal Collective) wirken lassen wollen, als hätten sie Belle & Sebastian neu erfunden. Dass sie dabei stellenweise wie ein Schatten ihrer selbst klingen, dürfte sich auf der Zunge alter Fans mehr als pelzig anfühlen.

Aber "Girls in peacetime want to dance" ist dann doch mehr als das, mehr als seine Aussetzer, mehr als ein paar lahme Pseudo-Funk-Nümmerchen, mehr als die einem nicht ganz durchgeplanten Angriff ähnelnde Haudrauf-Disco-Dynamik. Tanzbar, ohne peinlich zu sein, ist jedenfalls der Lounge-Pop von "Perfect couples", hochdramatisch bis zum Tränchen im Augenwinkel hingegen "The cat with the cream". Am besten ist das Sextett aber immer dann, wenn es die Waffen niederlegt, sich voll und ganz auf seine Stärken konzentriert und dabei ein Ass nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt: "Ever had a little faith?" schunkelt sich erst gemütlich ins Gehör, steigert sich dann im Zehn-Sekunden-Takt und präsentiert sich zum Schluss als warmer Indie-Pop-Song erster Güte. Die besungene "Allie", aus deren Sicht der Großteil der Songs stammt, bekommt mit dem ihr gewidmeten Stück ein mal mehr, mal weniger pompöses, aber immer würdiges Denkmal gesetzt. Im Schlusslicht "Today (This army's for peace)" ist er dann auch endgültig vorbei, der Krieg. Verloren ist hier zum Glück nichts, doch es gibt Verluste zu beklagen. Aber Hauptsache Frieden, oder?

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Nobody's empire
  • Perfect couples
  • Ever had a little faith?

Tracklist

  1. Nobody's empire
  2. Allie
  3. The party line
  4. The power of three
  5. The cat with the cream
  6. Enter Sylvia Plath
  7. The everlasting muse
  8. Perfect couples
  9. Ever had a little faith?
  10. Play for today
  11. The book of you
  12. Today (This army's for peace)
Gesamtspielzeit: 61:50 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2019-11-09 22:15:12

"This army's for peace" (!!), "Silvia Plath" und wohl ncoh "Play for today" wären meine Favoriten. Was für tolle Songs. Sonst mit etwas zu zerfahren. Trotzdem gutes Album.

MopedTobias (Marvin)

2019-11-09 22:10:21

Bin immer noch bei ner sehr starken 8, die Songs sind große klasse und den Sound mag ich auch. "Enter Sylvia Plath" (keine Sekunde zu lang) und "Nobody's empire" gehören für mich in die Band-Top-10.

carpi

2019-11-09 22:04:14

Songs können sie hier sicherlich noch schreiben, aber irgendwie reißt einen das ganze Album trotz hübscher Einzelsongs nicht vom Hocker, zudem sind einige Tracks einfach zu lang.
Solide 7, die letzten Veröffentlichungen habe ich gar nicht mehr gehört.
Live würde ich sie sehr gerne sehen, um das ziemlich enttäuschende Konzert in Haldern 2002 vergessen zu machen. Der Backkatalog ist ja wahrlich umfangreich und hochklassig.

The MACHINA of God

2015-09-17 01:03:25

So ein geiler Song.
(Also "Sylvia Plath".... genauso wie "Today")

Demon Cleaner

2015-09-17 00:20:47

Naja, ich hätte das auch ohne Helene Fischer Umtermalung geil gefunden.

Haha :-D
Wenn Helene einmal auf so eine Melodie wie die von "Enter Sylvia Plath" kommen würde...

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