D'Angelo And The Vanguard - Black Messiah
RCA / SonyVÖ: 15.12.2014
Der Bruder ist zurück
Denkt man die USA, denkt man an unendliche Weiten. An Hollywood, Stars und Sternchen, den "American Dream", vom Tellerwäscher zum Millionär. Man denkt an Washington, die Freiheitsstatue, die Rocky Mountains, den Grand Canyon. Man denkt an die Hoffnung nach dem Sturm, den Wiederaufbau nach der Katastrophe, an große Geschichten kleiner Menschen. Man denkt aber auch an Kriege, an ein veraltetes und mittlerweile fragwürdiges Verhältnis zu Waffen, an Schulmassaker, Gewalt, Verzweiflung, Tränen. Man denkt an eine gespaltene Nation, wenn es um Politik geht, um Grundgesetze, an falsche Ernährung und ungesund lebende Menschen. Denkt man an die USA, denkt man in den letzten Wochen auch an Ferguson, an Michael Browns toten Körper und die Proteste auf den Straßen, an Eric Garner, der bei seiner unrechtmäßigen Verhaftung erwürgt wurde, an den Satz "I can't breathe", den er elf Mal äußerte. Man denkt an den 12-jährigen Tamir Rice, der in einem Park von einem Polizisten erschossen wurde, weil er eine Spielzeugpistole dabei hatte. Denkt man an die USA, kann einem derzeit angst und bange werden. Obwohl – gilt das nicht für die ganze Welt?
Denkt man an D'Angelo, denkt man an die 90er. An Neo-Soul, an Angie Stone, seine Ex-Freundin, die ihn aufgebaut hat. Man denkt an sein Debütalbum "Brown sugar" von 1995, viel mehr aber noch an das fünf Jahre später veröffentlichte "Voodoo". Man denkt an das berüchtigte Video zu "Untitled (How does it feel?)", in dem die Kamera über vier Minuten um den nackten Interpreten kreist. Man denkt an seine Bauchmuskeln, an Sex, Schweißperlen auf der Haut, betörende Blicke, an Musik zum Kuscheln. Man denkt aber auch an die vierzehn Jahre, in denen sein drittes Album immer wieder angekündigt und verschoben wurde, man denkt an Fotos eines übergewichtigen Sängers, der mit jenem aus dem Video kaum mehr Ähnlichkeit hatte, an vergeudetes Talent, an Druck, an eine übergroße Erwartungshaltung. Daran, dass man von neuem Output wohl nur noch enttäuscht werden kann.
In der Nacht vom 15. Dezember 2014 kamen diese Gedanken zusammen. Michael Eugene Archer, wie D'Angelo mit bürgerlichem Namen heißt, schmiss anlässlich seines neuen Albums am Abend eine Listening Party in New York und veröffentlichte "Black Messiah" danach zunächst digital über die gängigen Musik-Stores. Das Werk, das erstmals unter dem Namen D'Angelo And The Vanguard erscheint und an dem neben The-Roots-Drummer Questlove unter anderem auch Q-Tip und Pino Palladino beteiligt sind, sollte eigentlich erst 2015 in die Läden kommen. Aber auch D'Angelo hat in letzter Zeit die Nachrichten verfolgt. Die Ereignisse in Ferguson schockierten ihn, sie machten ihn nachdenklich – war "Black Messiah" thematisch doch in einer ähnlichen Richtung angesiedelt. Es ist immer noch Musik zum Kuscheln, aber textlich macht das einiges mehr her, was der mittlerweile 40-Jährige hier präsentiert. D'Angelo ist nicht einfach nur zurück, er hat mit einem Paukenschlag die Tür eingerannt, steht mitten im Zimmer und zieht alle Blicke auf sich.
"Really love" ist es, der Song, mit dem alles wieder beginnt: Die Vorabsingle startet mit einer geradezu malerischen Klangkulisse aus Streichern und Bläsern und einer leisen Frauenstimme, die spanisch spricht. Mit Flamenco-Gitarre, einem dezenten Beat und verstecktem Curtis-Mayfield-Sample leitet D'Angelo seine Rückkehr-Offensive ein. Es ist einer der wenigen Songs, die an die soften Zeiten von früher erinnern, in denen es um die Liebe und das Zusammensein geht und in denen alles gut ist. Grooviger wird es in "Sugah daddy", an dem Q-Tip und Kendra Foster mitgeschrieben haben, eine Kollaborateurin von George Clinton und dessen Bands Parliament und Funkadelic. Nach einer Mischung aus jenem Clinton und Prince klingt D'Angelo hier tatsächlich auch – nicht zuletzt dank der Handclap-Rhythmik, dem unterschwelligen DooWop und dem verspielten Piano. Das stärkste Instrument des Stücks ist aber, wie fast überall auf "Black Messiah", seine Stimme, die er je nach Bedarf mal schneller oder langsamer, mal heller oder dunkler klingen lässt. Die Melodie treibt hier nicht den Sänger an – es ist genau umgekehrt.
Ein weiteres starkes Beispiel für die Wirkung seines Gesangs ist der großartige Opener "Ain't that easy" mit einem überragenden Palladino am Bass, in dem D'Angelo Sly-Stone-mäßig einen Aufstand auf der Straße anzuführen scheint. "You won't believe all the things you have to sacrifice / Just to get peace of mind", beschwört der Sänger. Wen er allerdings meint, ist nicht immer ganz klar: Eine Ex-Liebe? Eine Gruppe von Leuten? Das Volk? Zeile um Zeile vergeht, bis "1000 deaths" jeglichen Zweifel aus dem Weg räumt: Mit einer gesampelten Rede des mittlerweile verstorbenen Nation-Of-Islam-Aktivisten Khalid Muhammad im Intro ist die politische Brisanz des Songs klar, die körperliche Härte und intellektuelle Stärke schwingen allgegenwärtig mit, die verzerrte Melodie deutet an, dass eine Anpassung an die Umwelt nicht immer notwendig ist. Muhammads Rede in der ersten Minute erklärt auch den Titel des Albums: Jesus war kein friedlicher weißer Mann, sondern ein Revolutionär mit dunkler Hautfarbe und drahtigen Haaren, der sich Satans "New World Order" mit aller Kraft widersetzte – und man sollte es ihm gleichtun.
Deutlich entspannter wird es im zweiteiligen "Back to the future", welches sich mit D'Angelos Zweifeln auseinandersetzt und genau jene Leute anspricht, die ihn nur auf seine körperliche Erscheinung reduziert haben. Hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen nach Wechsel und der Sehnsucht nach Altbekannten bewegt er sich hier, während Questlove für den relaxten Jam im Hintergrund sorgt. Der stotternde Takt des psychedelischen "Prayer" greift hingegen wieder die Geschichte des göttlichen Revoluzzers auf, der den Stolpersteinen des Lebens auszuweichen versucht. D'Angelo ruft zum Beten auf, beteuert seinen eigenen Glauben, als ob er nicht nur die Leute, sondern vor allem auch sich selbst anfeuern müsse. Im Abschluss mit "Another life" findet "Black Messiah" dann endlich die Hoffnung und Wärme, badet im Licht des 70er-Jahre-Souls und der Liebe: "I wanna feel you breathe" – es ist das versöhnliche Ende einer langen Reise, die vor 14 Jahren begann und dessen Ziel wohl nicht nur D'Angelo, sondern auch seine Hörer für einige Zeit aus den Augen verloren hatten. Denkt man nun an ihn, denkt man vor allem an "Black Messiah". Und könnte darüber kaum glücklicher sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ain't that easy
- Really love
- Back to the future (part I)
- Prayer
Tracklist
- Ain't that easy
- 1000 deaths
- The charade
- Sugah daddy
- Really love
- Back to the future (part I)
- Till it's done (Tutu)
- Prayer
- Betray my heart
- The door
- Back to the future (part II)
- Another life
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Demon Cleaner
2015-01-26 21:34:10
du weißt schon, dass black messiah von 2014 ist?
Jop, aber zumindest für die Jahrespolls packe ich Alben aus dem Dezember ins nächste Jahr.
poser
2015-01-26 21:26:57
Bleibe bei meiner anfänglichen 7-7.5/10. Hätte auch den 12. Platz bei mir im letzten Jahr belegt. Verschiedene Ausreißer nach oben, aber eben auch viele Stücke, die mich eher weniger mitreißen. Dennoch ein starkes Album.
boneless
2015-01-26 21:25:32
du weißt schon, dass black messiah von 2014 ist?
Demon Cleaner
2015-01-24 17:37:13
01. Ain't That Easy 10/10
02. 1000 Deaths 9/10
03. The Charade 9/10
04. Sugah Daddy 8/10
05. Really Love 8/10
06. Back To The Future (Part I) 9/10
07. Till It's Done (Tutu) 10/10
08. Prayer 8/10
09. Betray My Heart 8/10
10. The Door 9/10
11. Back To The Future (Part II) 7/10
12. Another Love 9/10.
Vergebe 9.0/10. Wird am Ende des Jahres bei mir weit oben sein.
MopedTobias (Marvin)
2015-01-24 16:30:31
Hab ich doch von Anfang an gesagt :)
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- D'Angelo And The Vanguard - Black Messiah (41 Beiträge / Letzter am 26.01.2015 - 21:34 Uhr)