Ritual Howls - Turkish leather

Felte / Cargo
VÖ: 26.09.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Feinkühlkost

Das Faszinierende an einer künstlerischen Ausdrucksform liegt bekanntlich meistens subjektiv im Auge oder der Ohrmuschel des Rezipienten begründet. Dennoch gibt es sie, diese irgendwo schon aufs erste Kennenlernen stimmigen Kunstwerke, deren Kohärenz bei aller Subjektivität ein Stück weit objektiv zu greifen ist. "Turkish leather", das zweite Album von Ritual Howls aus Detroit, ist ein Werk aus dieser Kategorie. Das deutet sich bereits beim Anblick des Albumcovers an: Eine Person steht im Halbdunkel vor einem olivgrün-grauen, monotonen Hintergrund – und wirft auf diesen ihren Schatten. So weit, so stimmig. Doch sie ist dazu auch verhüllt. Von einem goldenen, mit dem frontal einfallenden Licht spielenden Umhang. Ja, ein Gegensatz. Allerdings einer, der im Kontext des Albums mehr als stimmig erscheint. Warum? Nun, das Artwork von "Turkish leather" steht Pate für den Sound von Ritual Howls.

Denn spätestens nach Minute eins des sanft im Dunkeln daherpolternden Openers "Zemmoa" packt der Dreier zu und lässt den Hörer auch in den nun noch folgenden, knapp 42 Minuten nie wirklich aus der Wave-meets-Industrial-Umklammerung frei. Warum auch, denkt man sich nach einiger Zeit, denn die acht Stücke dieser Platte entfalten schließlich eine äußerst reizvoll-störrische Atmosphäre: Zunächst kalt und unnahbar anmutend, ehe ihr wahrer Glanz und ihre lauwarme Schönheit ein wenig Tageslicht einfangen. Doch wie beim Covermotiv entblößt das Licht das Verhüllte nicht. Ein gutes Beispiel ist das melodramatische "Take me up", welches trotz düsterer Gothic- und Industrial-Synthies seine zauberhafte Melodie nie vollends an das Dunkel abtritt. "The taste of you" verstört zunächst massiv durch Sänger Paul Bancells Eiszapfen-Stimme, auf der Kälte-Skala irgendwo zwischen Ian Curtis, Dave Gahan und Nick Cave. Dann aber entfaltet der Track in Bancells eindringlichem Flehen nach körperlicher Nähe der Angebeteten fesselnde Repitition und damit Ästhetik – so klingt Schönheit im Moment der Verzweiflung.

Etliche Momente auf diesem Album, ob eher schwermütiger Cold Wave wie "Helm" oder flirrend-wabernder Industrial wie das abschließende Titelstück werden von typischen, düsteren 80s-Bassthemen getragen. Etwas mehr Post-Punk-Anleihen blitzen in "My friends" oder auch bei "Final service" auf, das sich eher durch die Instrumentierung von Bancells Mitstreitern Ben Saginaw und Chris Samuels inspirieren lässt. Drums und Bassgitarre finden dabei in Zweisamkeit ihren Weg durch die sonnenstundenarme Klanglandschaft von Ritual Howls. Kaum noch ins Tageslicht zu rücken ist dagegen der Industrial-Wave-Brocken "No witnesses". Will er auch gar nicht. Der verharrt lieber in der modrigen Besenkammer, um nach über drei Minuten plötzlich unter schwerem Bassgepolter und mit Bancells tiefstmöglicher Tonlage gegen Staub und Morbidität anzukämpfen. Im Kontext dieser Platte aber kann und soll er da nur verlieren. Denn im (imaginären) Platten-Supermarkt lägen Ritual Howls im ebenfalls wenig lebendigen Tiefkühlfach. Natürlich nicht ohne den verstörenden "Feinkost"-Aufkleber.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The taste of you
  • Take me up
  • Final service

Tracklist

  1. Zemmoa
  2. The taste of you
  3. Take me up
  4. My friends
  5. Final service
  6. Helm
  7. No witnesses
  8. Turkish leather
Gesamtspielzeit: 42:50 min

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