Gazelle Twin - Unflesh

Anti-Ghost Moon Ray / Cargo
VÖ: 03.10.2014
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Bis auf die Knochen

Inszenierungen des Körpers sind eine heikle Sache. Und wir reden hier weder über mit dem Begriff Pornographie zusammengefasste Unterleibsaktivitäten noch über jene psychotronischen Filme, die dank genüsslich zelebrierter Entbeinung ihrer Figuren das Genre "Body Horror" prägten. Nein, bei Elizabeth Bernholz alias Gazelle Twin geht es ums genaue Gegenteil: Ihre Musik erzählt vom Unwohlsein in der eigenen Haut und dem Ekel vor dem eigenen Körper. Entsprechend präsentiert sich die Künstlerin auf dem Cover in einen Kapuzenpulli gehüllt, der dem Betrachter lediglich den Blick auf eine amorphe Masse samt zähnebleckendem Mund bietet – dagegen wirkt selbst das mindestens befremdliche Artwork von Swans' "The seer" wie aus einer Website der Sorte "Cute overload" herauskopiert. Also lieber Vorsicht vor der bissigen Wunde.

Der Titel "Unflesh" steht dabei sowohl für das Lösen von der sterblichen Hülle als auch für das Abschleifen sämtlichen Fleisches von den Knochen. Keine üble Umschreibung eines Albums, das die unscharf an Witch House und schattiges Ambient-Downtempo heranschmeckenden Klanglandschaften des Vorgängers "The entire city" konsequent entsorgt. Und zwar in Bernholz' ganz persönlicher elektronischer Sushi-Maschine. Zerhäckseln lässt die Britin darin unter Mithilfe von John-Foxx-Sozius Benge Edwards einiges: fluoreszierende Unheimlichkeiten nach Vorbild von The Knife oder Fever Ray, jenseitige bis gepeinigte Stimm-Modulationen und sogar eine Ahnung ominös blubbernder Dance-Tracks. Letzteres selbstverständlich erst, wenn auch das letzte Glitzerplättchen von der Discokugel gepult ist. Die Aussichten: dunkel bis düster.

Und sobald dröhnende Synthies, grelle Schreie und ein panisches "It's coming at me!" das Titelstück einleiten, sitzt man schlotternd in der hinterletzten Ecke. Womöglich mit in Kürze zermatschter Visage. Doch so schlimm kommt es nicht. Bald zucken sogar die Knochen zu den stählernen Percussions der Single "GUTS" – die geht aber trotzdem dermaßen an die Eingeweide, dass es im Titel schon Versalien sein müssen. "Exorcise" legt danach mit einer von LCD Soundsystems "Disco infiltrator" geborgten Durchdreh-Sequenz einen eisigen Tanzflächenbrand inklusive Buh-Effekte im Sekundentakt, bevor "Anti body" zu Maschinengewehr-Beats und keuchendem Sprechgesang die Negation alles Fleischlichen bekräftigt: "I can't let you in / It takes too much to get out." Wer jetzt noch zurück in den Mutterleib will, dem ist nicht mehr zu helfen.

Doch natürlich weiß Bernholz von Zeit zu Zeit zu besänftigen. Etwa mit fuchtelndem Percussion-Overkill, der auch auf großer Woodkid-Bühne stattfinden könnte, oder mit den verhaltenen Fairlight-Harmonien und entschwebenden Gesangsparts von "Child". Doch schon im nächsten Moment hat "Unflesh" den konsternierten Hörer wieder eisern im Griff. Im erstickten Klopfer "Belly of the beast" genauso wie bei der 24-sekündigen Miniatur "A1 receptor", die kokelndes Geräusch zu einem ganz kurzen Inferno hochkocht und im Moment größten Entsetzens abwürgt – so wie ähnlich visionäre Regisseure das in Szenen machen, die schlimmste Albträume visualisieren. Huch, jetzt habt Ihr geklickt. Aber wir wollten Euch nicht erschrecken. Das besorgt schon dieses Meisterwerk. In nicht einmal 40 großartig erschütternden Minuten.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • GUTS
  • Exorcise
  • Anti body
  • Belly of the beast

Tracklist

  1. Unflesh
  2. GUTS
  3. Exorcise
  4. Good death
  5. Anti body
  6. Child
  7. Premonition
  8. A1 receptor
  9. Belly of the beast
  10. Human touch
  11. I feel blood
  12. Still life
Gesamtspielzeit: 38:26 min

Im Forum kommentieren

humbert humbert

2018-09-22 19:52:19

Das neue Album ist draussen und ganz stark geworden. Gazelle Twin ist der passende Harlekin aus der Hölle in Zeiten von Populismus, Brexit und Fremdenfeindlichkeit.

humbert humbert

2018-06-24 20:41:07

Die Gazelle bringt im September ein neues Album raus.
Wird bestimmt toll.

gawain

2014-10-08 17:48:08

Gutes Album, auch wenn mir "The Entire City" noch besser gefiel. "Human Touch" und "Anti Body" sind aber toll.

humbert humbert

2014-10-05 16:07:29

Scheint hier ja nicht so anzukommen. Hier noch ein Lied aus ihrem aktuellen Album:

Guts

humbert humbert

2014-09-29 22:11:42

Schöne düstere Electronikmusik aus England. Wird sich bei mir bei den Alben 2014 bestimmt weit oben befinden.
Hier zwei Songs:

Belly Of The Beast

Anti Body.

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