2:54 - The other I
Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 07.11.2014
Die Unzertrennlichen
"Ich ist ein anderer" – so der Titel eines Hauptwerkes von Arthur Rimbaud. Der französische Dichter erörterte darin das künstlerische Wesen, das beim Schaffensprozess in höhere Bewusstseinszustände vordringt, während anderen Menschen diese meist verborgen bleiben. Die Bewusstseinszustände, in denen die Britinnen Colette und Hannah Thurlow schweben, sind dagegen anhand ihrer Musik nachzuvollziehen – auf dem hochgelobten Debüt genauso wie auf diesem zweiten Album, bei dem die seelische Unzertrennlichkeit der beiden Schwestern bereits im Titel mitschwingt. Wäre "The other I" ein Film, dann eher Ingmar Bergmans "Persona" als David Cronenbergs albtraumhaftes Zwillingsdrama "Dead ringers". Und eingedenk des bösen Endes vom Letzterem kann man fast froh sein, dass es sich hier lediglich um eine Platte handelt.
Genauer gesagt um eine, auf der die Thurlows erneut eine Menge Löcher graben und sie mit vielen Dingen füllen. Etwa mit den Beschwörungen von Eiskönigin Siouxsie Sioux, deren weniger extravaganten Wiedergängerinnen The Organ oder düsterem alternativem Indie-Folk, bevor sich auch Riot Grrrls nach absolviertem Benimmkurs und Shoegaze-Nebelseen in Slowdive-Manier dazugesellen. Und es ist eine der vielen feinen Volten von "The other I", dass der Opener "Orion" mit unterschwelliger bassiger Wucht und tiefhängenden Keyboards ausgerechnet The Cures "Disintegration" seine Aufwartung macht – einem Album also, in dessen Mittelpunkt nicht die Koexistenz zweier Wesen, sondern die Auflösung eines solchen steht. Falls da gerade jemand "Referenzhölle" gesagt hat: Immer hinein in die gute Stube. Es ist schön warm hier.
Vor allem, weil sich die Schwestern beständig die Köpfe heißreden. Ihr bevorzugtes Kommunikationsmittel sind die Songs, in denen sich Multiinstrumentalistin Hannah mit Colette am Mikro in stetiger Zwiesprache befindet. Mal ungemütlich polternd wie im rhythmisch komplexen "Blindfold", wo die Sängerin mit den Worten "Will it ever leave me alone?" vergeblich böse Geister abzuschütteln versucht, dann wieder ganz ätherisch bei der akustischen Traumskizze "Tender shoots" oder mit dem flockig-eingängigen Pop-Vibe von "The Monaco". Doch auch hier ist Vorsicht geboten: "The ground beneath my feet is swallowing all." Eine zutreffende Metapher für ein Album voller mit puscheligem Samt ausgelegter Stolperfallen und Brunnenschächte im Dunkeln, in denen der Hörer drinsitzt, bevor er weiß, was los ist.
Doch dass mehr als genug los ist, merkt man schnell bei den doppelbödigen Songgebilden, die oft erst mit Verzögerung die Zähne zeigen. "No better prize" wandelt sich immer wieder vom verhallten Post-Punk-Melancholiker zum knirschigen Rocker, und "Crest" gibt sich nicht einmal die Mühe, sein in angezerrtem Stakkato schlagendes, wildes Herz zu verbergen. Da dürfen die beiden bei "Pyro" sogar plötzlich mit bengalischen Feuern auf der Matte stehen, auch wenn Marcel Reif das wahrscheinlich wieder nicht sehen will. Denn zum Glück bleibt alles friedlich. Auch im prächtigen Rausschmeißer "Raptor", der mittendrin vom elfenhaften Schleicher in eine schlankere Variante des frühen Warpaint-Glanzstücks "Krimson" umschlägt. Und so erklären 2:54 auf diesem tollen Album die Identitätskrise für beendet – sofern es bei ihnen je eine gab.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Orion
- No better prize
- Crest
- Raptor
Tracklist
- Orion
- Blindfold
- In the mirror
- No better prize
- Sleepwalker
- Tender shoots
- The Monaco
- Crest
- Pyro
- South
- Glory days
- Raptor
Im Forum kommentieren
Nashash
2015-01-10 19:46:15
Außer No Better Prize, Sleepwalker und Monaco alles zu langweilig. Und selbst die genannten sind z. B. nur halb so gut wie das geniale Creeping vom Vorgänger.
nörtz
2015-01-09 02:04:51
Orion 8/10
Blindfold 6/10
In The Mirror 8/10
No Better Place 6/10
Sleepwalker 6/10
Tender Shoots 5/10
The Monaco 6/10
Crest 6/10
Pyro 7/10
South 8/10
Glory Days 6/10
Raptor 7/10
Das kommt es auch nicht. Leider ziemlich viel orientierungsloser Durchschnitt dabei. Viele der Songs sind gutes Handwerk, jedoch will dabei einfach nichts überspringen. Bin schon ein wenig enttäuscht.
Das andere Ich
2015-01-07 19:00:27
Gerade nochmal in voller Glorie gehört...und finde, dass es absolut nicht an das tolle Debüt rankommt.
nörtz
2014-12-19 19:35:13
Habs hier liegen, aber noch nicht anhören können. Mein Urteil kommt noch.
Magoose
2014-12-19 18:36:39
entwickelt leider bei weitem nicht diese dunkel düstere neblige dunkelelfen atmosphäre wie die erste Platte. Die meisten Songs plätschern eher etwas ziellos durch die Gegen, erst die letzten beiden Song erreichen wieder das Niveau der ersten Platte imho.
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- 2:54 (24 Beiträge / Letzter am 08.10.2012 - 01:08 Uhr)