
TV On The Radio - Seeds
Vertigo / UniversalVÖ: 14.11.2014
Nach dem Schmerz
Weitermachen, auch wenn's schwer fällt. Irgendwie so oder doch ganz anders muss die Devise bei TV On The Radio gelautet haben, als nur wenige Tage nach der Veröffentlichung ihres vierten Albums "Nine types of light" ihr Multiinstrumentalist Gerard Smith mit nur 36 Jahren an Lungenkrebs verstarb. Dabei war die Geschichte, wie er zur Band aus Brooklyn stieß, doch immer so schön romantisch: Der Straßenmusiker Smith lernte TV-On-The-Radio-Sänger Tunde Adebimpe 2003 kennen, als ihm dieser ein paar Nickel in den Hut warf, irgendwo in der unendlichen U-Bahn-Parallelwelt New Yorks. Die beiden plauderten daraufhin und schon war Smith Teil von TV On The Radio. Und somit auch Mitglied einer Band, die damals als spannungsreichster Hoffnungsträger des Indierock gehandelt wurde.
Und doch gehören private Schicksalsschläge immer auch zum Leben dazu, da beißt die Musikermaus keinen Extrawurstfaden ab. Gerade als Künstler kann man freilich die gottgegebenen Talente dafür nutzen, den erlittenen Verlust mit den eigenen Schaffenskräften aufzuarbeiten, was Adebimpe, Dave Sitek und Co. nun mit ihrem fünften Album "Seeds" dann auch machen. Bereits die vorab veröffentlichten Songs geben die Marschroute vor, "so poppig wie noch nie" schreiben die einen, "langweilig" mosern die anderen, auf "irgendwie anders" können sich fast alle einigen. Nach ihrem unter Starkstrom stehenden 2008er-Meisterwerk "Dear science" mussten sie sich ohnehin irgendwie freispielen, in neue Richtungen gehen, wie es sich eben für eine Band gehört, die wie kaum eine zweite über ihr Genre hinausdenkt und gerne auch in anderen Schubladen kramt.
"Seeds" ist nun also sicherlich die eingängigste Platte, die man von dem Quartett aus Brooklyn erwarten konnte. Umwege werden nur noch selten genommen, meist suchen sie den direkten Weg, kein großer Anlauf ist mehr nötig, weswegen der Uptempo-Hit "Happy idiot" auch schon nach schlappen 19 Sekunden in den ersten Refrain einbiegt. Kickstart zurück ins Glück? Vielleicht. Ihren Platz in den Indie-Discos von Brooklyn, Berlin und Buxtehude dürften sie damit jedenfalls sicher haben. Nur einmal gönnen sich TV On The Radio ein längeres Vorspiel: "Ride" nimmt sich zweieinhalb Minuten Zeit, meditiert sich mit den warmen Pianoklängen erstmal den Wachstumsschmerz aus den Gliedern und legt dann mit einem Arcade-Fire-Beat los, wie man ihn von Win Butler und Co. nach "Reflektor" auch nicht mehr erwartet.
Die besten Momente auf "Seeds" sind dann aber vor allem diejenigen, in denen die zarte Melancholie den Staffelstab übernimmt und TV On The Radio sich dem schwelgerischem Indiepop hingeben. "Careful you" beginnt dann elektrisch verzerrt und frankophil mit den Zeilen "Oui, je t'aime / Oui, je t'aime / À demain, à la prochaine", nur um dann doch eine eklektisch-heroische Entwicklung zu nehmen, die im herrlich-raumgreifenden Refrain noch lange nicht ihr Ende findet. In ähnliche Regionen stößt das zurückgelehnte "Trouble" vor, kurz bevor TV On The Radio mit dem Titeltrack am Ende noch mal alles in die Waagschale werfen: Da ist der Schmelz auf der Stimme von Adebimpe, die himmelwärts-strebenden "Ah-Ah"-Chöre, die elektronisch-vertrackten Beats und Synthie-Flächen, die Glöckchen, die Störgeräusche, die eigentlich keine sind. Da ist die Euphorie, die den Schmerz überlagert. Da ist endlich eine Band, die Oliver Kahns Worte berücksichtigt und Rückschlägen selbstbewusst die Stirn bietet: Weiter, immer weiter. Um es auf den Punkt zu bringen, und auch in Gedenken an Gerard Smith: Meisterleistung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Careful you
- Test pilot
- Ride
- Trouble
Tracklist
- Quartz
- Careful you
- Could you
- Happy idiot
- Test pilot
- Love stained
- Ride
- Right now
- Winter
- Lazerray
- Trouble
- Seeds
Im Forum kommentieren
AliBlaBla
2025-04-16 10:53:26
Höre ich das nur, oder ist das die Blaupause für YOUNG FATHERS (deren letztes Album ich liiiiiiiebe)? Rhythmik, Zwiegesang/Chöre, Aggressivität bei gleichzeitigen Gospelanleihen?
(Nich, das das ehrenrührig wäre..)
Listenautist
2015-02-06 14:00:16
Desperate Youth, Blood Thirsty Babes 6/10
Return To Cookie Mountain 10/10
Dear Science 9/10
Nine Types Of Light 8/10
Seeds 5/10
MopedTobias (Marvin)
2015-02-06 13:52:26
@Mainstream: Ich kannte die Band schon vorher, aber die Szene ist echt klasse. DLZ ist auch einer ihrer besten Songs.
eric
2015-02-06 11:17:15
Album wird immer besser, obwohl's anders ist als der Vorgänger, den ich sehr mag. Einfach eine großartige Band.
seabird
2015-02-06 10:16:56
Highlights:
02 - Careful You
04 - Happy Idiot
04 - Test Pilot
11 - Trouble
Gesamt: 8 / 10
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