Neil Young - Storytone

Reprise / Warner
VÖ: 31.10.2014
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Retter der Welt

Neil Young kämpft unermüdlich. Gegen das Älterwerden, gegen die Ausbeutung des Planeten, gegen die sinkende Wertschätzung von Musik, gegen die allgemeine Lethargie. Gerade in den letzten Jahren hat sein Schaffensdrang noch einmal deutlich zugelegt. Ob brachial und voller Wut oder strategisch und mit Köpfchen – der 68-Jährige nimmt die Sachen am liebsten selbst in die Hand. So entwickelte er unter anderem ein eigenes Musikportal, schrieb Bücher, organisierte Festivals, tourte und veröffentlichte Platten mit verschiedenen Begelitmusikern und Ansätzen. "Storytone" ist bereits sein zweites Album in diesem Jahr – und das 39. Album seiner Karriere insgesamt. Und es ist ein ganz besonderes.

Denn so hat man Young bislang noch nie gehört. War der Vorgänger "A letter home" ein puristisches Low-Fidelity-Tribut an alte Americana-Songs, finden sich auf "Storytone" nun wieder ausnahmslos Eigenkompositionen – und das in zwei Versionen. Auf CD1 präsentiert er die zehn neuen Stücke in opulentem Big-Band- oder Orchestergewand. Mehr als 90 Musiker befanden sich zeitweise in den Sony-Studios in Los Angeles, um die Songs angemessen in Szene zu setzen, darunter auch ein vielstimmiger Chor. Funktioniert das? Und ob! Das große Kino steht dem Flanellhemd-Kanadier sogar überraschend gut. Besonders die Öko-Hymne "Who's gonna stand up?" kann überzeugen. Von dramatischen Streichern unterlegt, gibt Young darin den Anwalt von Mutter Erde, ruft auf zum Protest gegen Fracking und die andauernde Verschmutzung der Meere. Natürlich ist das pathetisch. So sehr sogar, dass viele die Nase rümpfen werden. Aber irgendwer muss in diesen aus den Fugen geratenen Zeiten ja auch mal ein Zeichen setzen und voran gehen. Young tut es. Das ist kein Größenwahn, sondern wahre Größe.

Große Momente gibt es ebenfalls viele auf "Storytone". Und dazu zahlreiche Überraschungen. Da wäre zum Beispiel "Plastic flowers", das man als Schmerzbewältigung nach der kürzlich erfolgten Scheidung von seiner Pegi nach 35 Ehejahren hören kann. Da wäre "Say hello to Chicago", eine Big-Band-Hommage an die Wiege des Blues, in der Young beweist, dass er auch den Sinatra geben kann. Die Bläser knallen und Young swingt, dass es eine Freude ist. Andere Töne schlägt das Albumende an. "I'm glad I found you" ist eine zuckerwattensüße Liebeserklärung. Rührend ist auch "When I watch you sleeping", in dem Young sanft von dem Glück singt, seine Liebste beim Schlafen zu beobachten, ihren Duft zu atmen und von den Träumen, die noch morgens in ihrem Haar hängen. Seine Stimme ist sanft, seine Mundharmonikaspiel schmerzhaft schön.

Young wäre nicht Young, wenn er es dabei belassen würde. Und so fügt er diesem Album eine zweite CD bei, auf der alle Stücke solo und akustisch eingespielt wurden. Spartanische Piano- oder Gitarrenbegleitung statt glattpoliertem Bombast: Es ist verblüffend und ein Heidenspaß zu hören, wie stark sich Charakter und Wirkung der einzelnen Songs je nach Instrumentierung verändern. "I want to drive my car" etwa geht in der Band-Version nahezu unter, entwickelt als gespenstisch-dunkeler Road-Movie aber seine Qualitäten. Der Autonarr Young (der sich für das Cover selbst mitsamt seines Lincoln Continentals MK IV malte) singt hier mit selten tiefer Stimme und es klingt, als hauche er einem direkt ins Ohr. Auch "All those dreams" weiß in der abgespeckten, vom Kitsch befreiten Version deutlich besser zu gefallen. Bester Song ist auch hier "Who's gonna stand up?". Und wenn Young dann "This all starts with you and me" statiert und damit die Antwort auf die Songtitel-Frage gibt , möchte man auch aufstehen und sich ihm zur Seite stellen. Wer sonst könnte die Welt retten, wenn nicht der unermüdliche Kämpfer Onkel Neil?

(Sebastian Meißner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Who's gonna stand up?
  • Say hello to Chicago
  • When I watch you sleeping

Tracklist

  • CD 1
    1. Plastic flowers (solo)
    2. Who's gonna stand up? (solo)
    3. I want to drive my car (solo)
    4. Glimmer (solo)
    5. Say hello to Chicago (solo)
    6. Tumbleweed (solo)
    7. Like you used to do
    8. (solo)I'm glad I found you (solo)
    9. When I watch you sleeping (solo)
    10. All those dreams (solo)
  • CD 2
    1. Plastic flowers (orchestral)
    2. Who's gonna stand up? (orchestral)
    3. I want to drive my car(Band)
    4. Glimmer (orchestral)
    5. Say hello to Chicago(Big Band)
    6. Tumbleweed (orchestral)
    7. Like you used to do (Band)
    8. I'm glad I found you (orchestral)
    9. When I watch you sleeping (orchestral)
    10. All those dreams (orchestral)
Gesamtspielzeit: 53:37 min

Im Forum kommentieren

NORDSTERN

2014-11-17 15:35:11

Zunächst denkt ma beim Hören von der Storytone-Orchester-Version: Oh, da sich Onkel Neil mal wieder was Neues einfallen lassen. Dem ist aber nicht so! Man höre nur "A Man Needs A Maid" von HARVEST. Auch schon sehr opulentes Orchester!Und das war immerhin schon 1972.

deppthroat

2014-11-10 15:02:27

schwachmatenmucke...neil hätte es wie lennon machen und schweigen sollen seit 1980

fakeboy

2014-11-10 14:51:13

Herr, es spricht nicht für dich, dass du C Dur nicht erwähnst...

VelvetCell

2014-11-10 09:07:17

Ah; die Qualität von Musik ermisst sich also an der Menge der verwendeten Akkorde. Interessant.

Johnny Utah

2014-11-09 22:57:12

Die Solo-Scheibe ist aus meiner Sicht sehr, sehr gut. In die Orchesterversion habe ich nur sporadisch reingehört.

Solo: 9/10
Orchester (tendenziell): 5/10

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