Karies - Seid umschlungen Millionen

This Charming Man / Cargo
VÖ: 03.10.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Melonen Menschen

Die (erweiterte) Plattentests.de-Schlussredaktion vergnügte sich unlängst im gemeinsamen Chat über das Comeback von Wigald Boning im Musikbusiness. Mit seiner Band Die Doofen feierte der oftmals weißgekittelte Fernseh-Spaßvogel Mitte der Neunziger ein paar nicht so ganz ernstzunehmende Erfolge. Nach deren Album "Melodien für Melonen" war der ganze Spaß auch schon wieder vorbei. Leider zum Glück. Nein, lieber Leser, Sie befinden sich nicht in der falschen Rezension, denn jetzt kommt ein olympisch-textlicher Goldsprung: Ebendiese Melonen stehen aufgrund ihres Zuckergehalts im Verdacht Karies zu verursachen. Zugegeben: So wirklich edelmetall-würdig war dieser Texthüpfer nun doch nicht. So oder so: "Seid umschlungen Millionen" heißt das Karies-Debüt. Und es ist ein ziemlicher (Zahn-)Brecher geworden.

Jetzt aber mal Fakten auf den Tisch! Karies sind vier Jungs aus Leipzig und Stuttgart und präsentieren ihrem Erstling Musik zwischen Post Punk und NDW, klingen ein bisschen wie Die Nerven nach einer durchzechten Nacht des Joy-Division-Hörens. So weit hergeholt ist das tatsächlich nicht, schließlich wurde "Seid umschlungen Millionen" von Die-Nerven-Frontmann Max Rieger produziert. Kürzlich begleiteten Karies zudem Turbostaat auf Tour. Noch so eine Nenngröße, mit der man arbeiten kann. So könnte "Sylvia", mit seinem Ausruf "Sylvia, was ist nur passiert?", zum "Sandra liebte ihn auch!" der Truppe mit den löchrigen Zähnen werden. Zwischen Up-Tempo-Beat und Gitarrengewitter klagt Sänger Benjamin Schröter in dem Sieben-Minuten-Ungetüm die ominöse Damengestalt immer wieder keifend an.

Noch so ein Brett ist "Traum von D.", das dem Ganzen noch eine Minute draufgibt. Die Bassline bleibt so stoisch stringent, dass die Finger bluten, wechselt alle paar Takte mal die Tonlage und gibt dem Stück somit seinen Halt. Der Traum ist letztlich mehr Alptraum als Traum (man beachte die neuerliche Die-Nerven-Referenz), allzu düsterwerdend greifen Musik und Text ineinander. Im schiefen "Paradies" finden die Protagonisten zurück zur Glückseligkeit und das Album seinen Abschluss, nachdem das instrumentale "Westwärts" laut "Go west" rief. Letzteres erinnert wiederum an das Rieger-Projekt All Diese Gewalt, addiert zum bekannten Sound ein paar hellere Pickings, subtrahiert jedoch den Gesang. "Paradies" bleibt auch zunächst wortkarg, ringt sich zur Hälfte aber dann doch zu einer Ansage durch: "Du hast die Wahl / Du musst nur wollen." Abschließend bleibt die verstörende Erkenntnis: "Das Salz der Erde / Gibt's bei Rewe / Für 19 Cent."

Karies sind ganz anders durchgeknallt als Die Doofen, freilich. Ein großes Wirrwarr ist "Seid umschlungen Melonen Millionen" dennoch. Der überzeichnete fatalistische Ansatz des Quartetts schreit nach Irrenhaus. Aber ganz positiv, in "Einer flog über das Kuckucksnest"-Manier. Einfach mal verrückt sein und das Schlimmste annehmen, eben auch um aufzuzeigen, wie unschlimm alles doch in Wirklichkeit ist. Festzuhalten bleibt jedenfalls: Karies sind definitiv auch ein Thema für den Plattentester-Redaktions-Chat. Und das sind nur die Guten. Oder die ganz Irren. Karies sind passen irgendwie in beide Schubladen.

(Pascal Bremmer)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sylvia
  • Traum von D.
  • Paradies

Tracklist

  1. Abwärts
  2. Kariman
  3. Sylvia
  4. Unbekannt
  5. Misere
  6. Seriöse Dinge
  7. Traum von D.
  8. Würgen
  9. Wahrheit träumt nicht
  10. Westwärts
  11. Paradies
Gesamtspielzeit: 46:00 min

Im Forum kommentieren

Der Wanderjunge Fridolin

2015-11-12 16:03:50

Mir fällt kein Grund ein, warum man sowas scheiße finden sollte.

Der Wanderjunge Fridolin

2015-11-12 15:59:30

Mir gefällt's. Geht im Vergleich zu den Nerven etwas mehr in Richtung Fehlfarben/Mittagspause, was es für mich nur umso interessanter macht. Live sind Karies sogar eine richtige Offenbarung, fast schon als Mischung aus Mittagspause und Can zu bezeichnen. Da werden die Songs gerne mal auf die Länge von 10 Minuten ausgedehnt. Jeder Ton wird zelebriert, ohne dabei zu langweilen.

findichschoen

2014-11-16 18:41:54

findichschoen

superplatte

2014-11-07 19:17:39

superplatte

unnormal

2014-11-07 10:35:36

unnormal

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum