Scott Walker + Sunn O))) - Soused

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 17.10.2014
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Der Punktsieg

Scott Walker kann machen, was er will. Ob er einst in The Walker Brothers' "The sun ain't gonna shine anymore" einen prophetischen, wenn auch kaum beabsichtigten Ausblick auf sein monströses Spätwerk gab, mit "Climate of hunter" 1983 das schlechtestverkaufte Virgin-Records-Album aller Zeiten veröffentlichte und auf den schwer fassbaren Brocken "The drift" und "Bish Bosch" Schweinehälften oder flatulierende Schließmuskel als Instrumente zweckentfremdete – Plattentests.de verweigerte ihm stets eine Punktwertung. Das liegt zugegebenermaßen auch ein wenig an der Ungnade der späten Geburt: Unser geschätztes Fachorgan existierte schlicht noch nicht zu der Zeit, als der Sänger, der eigentlich Noel Scott Engel heißt, nachvollziehbare Musik produzierte. Was für den inzwischen 71-Jährigen längst nicht mehr in die Tüte kommt.

Denn Walker kann nicht nur machen, was er will – er tut es auch. Mit einer Konsequenz, die bei aller oft kolportierten Unhörbarkeit Respekt verdient. Enthielt das so umstrittene wie fantastische "Tilt" 1995 immerhin noch das eine oder andere Juwel zwischen umnachtetem Croonertum und ausladendem Torch-Song, brach Walker ab Mitte der 2000er endgültig mit sämtlichen Codes der Popmusik. Oder wie Kollege Baschek treffend diagnostizierte: ""Bish Bosch" räumt die Welt leer, damit der Meister seinen Platz hat." Und Platz war bei ihm bis jetzt nicht einmal für Sunn O))), die Walker 2009 vergeblich um einen Beitrag zu "Monoliths and dimensions" gebeten hatten. Doch der Meister hat offenbar auch ein gutes Gedächtnis und ein großes musikalisches Herz – und schrieb für sich und die führenden Drone-Doomster mit "Soused" gleich ein ganzes Album.

Haben wir es hier nun also mit Scott Walkers Rock-Platte zu tun? Moment: "Scott Walkers Rock-Platte"? Das klingt ähnlich absurd wie "Scooters Unplugged-Album", obgleich zuletzt auch brachiale Gitarren-Eruptionen zum Klangarsenal des in London ansässigen Exil-Amerikaners gehörten. Doch zurück zur Frage: Mitnichten. Auch "Soused" ist knochenhart – aber in einem ähnlich nihilistischen Sinne, wie sich Sunn O))) auf ihren Platten so weit wie möglich von allen gängigen Metal-Vorstellungen abkoppeln. Natürlich liegt es Walker fern, Stephen O'Malley, Greg Anderson und deren Sozius Tos Nieuwenhuizen zu bloßen Erfüllungsgehilfen zu degradieren. Trotzdem thront er weiterhin über allem – selbst über den dröhnenden Zeitlupen-Riffs der langsamsten Kuttenträger der Welt. Auch das muss man erst einmal hinkriegen.

Und wer nun ob der zu erwartenden Schwerstarbeit entnervt aufstöhnt, dem sei gesagt: Walker macht es nicht nur seinem Publikum, sondern auch sich selbst keineswegs einfach. Anderen hätten etwa für die spartanischen Rhythmuselemente des Openers "Brando" schroff verfremdete Handclaps ausgereicht – er schwingt im Studio stattdessen eine Viehpeitsche. Sunn O))) lassen ihre Gitarren dazu tiefstgestimmt zürnen, bauen aber auch immer wieder ein überfallartig aufjaulendes Riff und sogar eine scheinbar versöhnliche Hochtöner-Volte ein, während Walkers jenseitig klagendes Geheul ständig zwischen bitterem Schmerz und lieblicher Bombast-Auflösung changiert. Als würden die britischen Extrem-Noise-Terroristen Whitehouse plötzlich "November rain" von Guns'n'Roses anstimmen. Unglaublich – und unglaublich gut.

Gegen diesen haarsträubenden Auftakt muss der Rest dieses Albums fast zwangsläufig verblassen – jedoch auf allerhöchstem Niveau. Denn auch danach ist es ein äußerst beunruhigendes Vergnügen, wie Walker schauerliche Choräle über Nazi-Schergen, Säuglingsmorde und andere vermutlich ebenso furchtbare Themen absingt, auf die man seine kryptischen Lyrics gar nicht näher abklopfen möchte. "Soused" geht dahin, wo es dem Hörer und dem Künstler gleichermaßen wehtut – eine Grenzerfahrung, die ihr Spiel treibt mit Urängsten, Selbstkasteiung und subtilen Andeutungen bizarren Humors. Ein paar mutwillig aufblitzende Metal-Karikaturen aus den Sunn O)))-Gitarren und spitzfindige Lautmalereien zu entsprechenden Textfragmenten lassen zumindest erahnen, dass Walker unter seiner Schirmmütze mitunter selbstzufrieden in sich hineingrinst.

Vorwerfen könnte man diesem Meisterwerk allenfalls, dass es die Ausnahmestellung des großen alten Mannes eher zementiert, als ihr wirklich neue Facetten hinzuzufügen. So eindrucksvoll die quälenden Drone-Lavaströme nämlich auch sind – letztlich bewirken sie lediglich die behutsame Verschiebung eines Sounds, der für sich genommen bereits unerhört genug ist. Verfeinerung durch Vergröberung. Entscheidend hingegen: Walker beherrscht den Wechsel zwischen schwärzesten Depressionen und erstaunlich leichten Momenten weiterhin bravourös und lässt am Ende offen, ob das Blut im Kino wirklich nur Ketchup ist oder nicht. Stoff für ein sprachlos machendes Album, das man weder ignorieren kann noch sollte. Ja doch: Plattentests.de ist begeistert. Da kann auch Scott Walker machen, was er will.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Brando
  • Bull

Tracklist

  1. Brando
  2. Herod 2014
  3. Bull
  4. Fetish
  5. Lullaby
Gesamtspielzeit: 48:45 min