Tokio Hotel - Kings of suburbia

Island / Universal
VÖ: 03.10.2014
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Stibitzbuben

Tokio Hotel sind ein Pop-Phänomen der letzten Dekade – und irgendwie auch in der Geschichte von Plattentests.de. Damals, am 30. Juli 2005, lange vor dem Release des Debüts "Schrei", begann das Unken auch im Plattentests.de-Forum, der damaligen Kommandozentrale der Indiepolizei: "Leute, ich habe Angst. Ich habe die Befürchtung, es kommt etwas ganz schlimmes auf uns zu", lautete der Eröffnungs-Post des allerersten Tokio-Hotel-Threads. Ein mittlerweile monumentaler, bis heute gefürchteter Satz! Auch andere User ließen dort ihrer Verwunderung über die "Gothikhansons" aus Sachsen-Anhalt freien Lauf: "Ist ein kluges Konzept: Eine Mischung aus Schnappi und Silbermond kommt bestimmt an" meinte ein Nutzer, der damals meistens wegen Bon Jovi online war und sich wegen dieser Aussage zumindest nicht als komplett ahnungsloser Mensch disqualifiziert hat. Ein anderer Stammuser stellte dem damals noch etwas stimmbrüchigen Bill Kaulitz und seiner Milchbubi-Meute gar eine sehr rosige Zukunft in Aussicht: "Ich glaube, der Junge löst in drei Jahren die Sängerin bei Placebo ab."

Bei so vielen vermeintlichen Komplimenten und Vorab-Lorbeeren äußerte sich gar der Plattentests.de-Häuptling höchstpersönlich zur anrollenden PR-Walze rund um die frisch ins Pop-Aquarium gesetzten Teenie-Karpfen: "Ob eine Rezension da Sinn macht?" zweifelte er zunächst, machte das heikle Unterfangen dann aber kurzerhand zur Chefsache. Seine damalige Prognose allerdings müssen wir anno 2014 – er möge da nachsichtig sein – endgültig widerlegen: Denn nicht nur der Kult-Thread ist fast 40.000 Postings später nach wie vor existent, auch die Kaulitz-Brüder machen noch – oder besser: wieder – Musik. Denn in den letzten vier Jahren war es arg still um Tokio Hotel. Sieht man einmal vom Versuch ab, die abgekaute RTL-Pop-Posse DSDS vor dem Untergang zu retten, schienen die Gebrüder Kaulitz im kalifornischen Großstadtbecken abgetaucht. Was genau sie dort taten? Nun ja, Antworten liefert ihr viertes Album "Kings of suburbia" zunächst nur an der Oberfläche. Aus Manga-getünchten Bravo-Stars wurden Twenty-Some... äh, -Piercings; aus ihrem Düster-Poprock vergangener Tage wurde – ja was eigentlich?

Nun, zumindest hatten Bill und Tom, die etliche dieser elf neuen Songs übrigens selbst oder zumindest mitkomponiert und mitproduziert haben, wohl genügend Zeit und Muße, sich mit zeitgenössischen (elektronischen) Populärklängen der letzten zwei bis drei Jahrzehnte auseinanderzusetzen. Und wenn es im Hause Kaulitz so etwas wie einen Work- oder Matchplan für diese Platte gab, dann scheint man übereingekommen zu sein, dieses Dekaden-Sound-Puzzle bunt durcheinander zu mixen. So sprießen die Referenzen und Klone vergangener Tage aus diesem Album im Minutentakt: "Covered in gold" und der Titelsong bringen mittelprächtigen Synthpop im 80s-Style. Letzterer kann es dabei gerade noch verhindern, als Tears-For-Fears-Plagiat angemeldet werden zu müssen. Die ohrwurmige Single "Love who loves you back"dagegen suhlt sich recht angenehm im warmen Chillout-Wave-Becken, während das unterkühlt-reduzierte "Run run run" mutmaßlich in jener Nacht entstanden sein könnte, als der Tom dem Bill mal wieder Radiohead vorgespielt hat, der Bill aber lieber James Blake hören wollte.

Erwähnenswert auch "Feel it all", das sogar die Neunziger ein wenig aufleben lässt, ohne damit zu nerven. Leider schrecken Tokio Hotel auch vor billigen Disco-Stampfern im David-Guetta-Stil wie "Girl got a gun" oder "Never let you down" und so obligatorischen wie überflüssigen Balladen à la "Invaded" nicht zurück. Und so versinken viele wirklich ordentliche Ideen und Ansätze in diesen knapp 40 etwas unbeholfen und aufgeblasen wirkenden Minuten letzten Endes doch im popmusikalischen Relevanz-Nirwana. Dort, wo auch der Autotune-Effekt zu Hause ist. Sollten Tokio Hotel in den letzten 48 Monaten tatsächlich vergessen haben, wer sie waren und – wie im Titelstück besungen – wo sie eigentlich gerade sind, dann kann man den beiden Stibitzbuben das ausgeprägte Fischen in bekannten Gewässern und Klangteichen nicht verübeln. Immerhin sind Mut und der Wille erkennbar, zu anderen Ufern aufzubrechen. Dass sich aber in neun Jahren noch irgendjemand ernsthaft über dieses Album, respektive über diese Songs, unterhalten wird, darf bezweifelt werden. Wohl auch nicht in den Sphären des "sozialen Projekts" namens Plattentests.de-Forum.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Run run run
  • Love who loves you back

Tracklist

  1. Feel it all
  2. Stormy weather
  3. Run run run
  4. Love who loves you back
  5. Covered in gold
  6. Girl got a gun
  7. Kings of suburbia
  8. We found us
  9. Invaded
  10. Never let you down
  11. Louder than love
Gesamtspielzeit: 39:07 min

Im Forum kommentieren

wie, jetzt ohne flachs

2014-11-05 17:10:33

justin timberlake hört der captän auch?, ne näh?

H. Inweis

2014-11-05 16:57:59

also sind seine Favoriten Tokio Hotel und James Blunt.

Au contraire. Sein Musikgeschmack ist um noch breiter gefächert. Justin Timberlake muss unbedingt nicht mit in die Aufzählung.

Captain Kitt

2014-11-05 15:37:18

ihr könnt mich mal

Ernst Gemeinteantwort

2014-11-05 00:32:05

hat sich almighty Captain auch mal so devote zu James Blunt geäussert?
das habe ich gar nicht mitbekommen.
also sind seine Favoriten Tokio Hotel und James Blunt.
armer Captain.

Insider-Quellen

2014-11-04 15:30:45

vermuten, er ist auf einer Tournee durch ganz Europa und die USA, mit dem Ziel, jedem einzelnen Konzert von Tokio Hotel und James Blunt beizuwohnen - selbst, wenn zwei Konzerte auf dieselbe Uhrzeit fallen. Er schläft unter Hotels, wo seine Idole übernachten und arbeitet für Autogramme als Putzkraft bei Gigs.

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