
Wendy McNeill - One colour more
Haldern Pop / Rough TradeVÖ: 26.09.2014
Einfach schwer
Es ist schon ein großes Vorhaben, das sich Wendy McNeill hier aufbürdet, ohne es an die große Glocke zu hängen. Die Kanadierin schafft es, mit "One colour more" die Lücke zwischen E und U zu versöhnen, wie es sonst nur Tori Amos oder Joanna Newsom konnten. Der Anspruch ist ein großer, die Umsetzung wunderschön und stimmig geraten. Einerseits spielt McNeill auf bereits bekanntem Instrumentarium wie der allseits anwesenden Quetschkommode und so seltsamen Sachen wie dem Stylophon oder einem Dulcitone, loopt die eigene Stimme geisterhaft in den Hintergrund und erschafft neun ans Herz gehende Stücke, die auch nebenbei laufen könnten, ohne dass sie stören würden. Aber das würde McNeill und vor allem dieser Platte nicht gerecht.
Denn andererseits verbergen sich unter den schönen, traurigen Liedern tiefgründige und nicht immer leicht verdauliche Geschichten. In "In bocca al lupo" nimmt McNeill den Mord an elf sizilianischen Migranten in New Orleans im Jahr 1891 als Grundlage und erzählt diesen Vorfall aus der Sicht eines – kein Scherz – Akkordeons und mündet in der wunderbaren Erkenntnis "Even the best accordion can't save an unlucky man." In "Papusza and the crows" nimmt sie die Erzählperspektive einer Krähe ein, die über ihre Liebe zur polnischen Künstlerin Bronislawa Wajs erzählt. "Civilized sadness – March 16, 1988 lament" handelt von einem Giftgasangriff in Kurdistan, "When the strangest weed takes hold" von der Immigration einer russischen religiösen Gruppierung namens Doukhobors nach Kanada am Ende des 19. Jahrhunderts.
Das klingt wahrscheinlich anstrengender, als es letztendlich ist. Denn McNeill schafft es, die Songs vielleicht nicht einfach, aber durch die Komposition und ihre Erzählkunst eben doch zugänglich zu machen. Selbst ein Song wie "Owl and boy", der das heikle Thema Kindesmissbrauch aufgreift, schunkelt mit Unterstützung des Akkordeons munter vor sich hin. Vor allem hier offenbart sich die künstlerische Doppelbödigkeit dieses gewitzten Albums. Dass McNeills Songs oft von der Migration, vom Suchen und Finden handeln, ist wahrscheinlich ihrer eigenen Biographie geschuldet. Geboren in Kanada und künstlerisch immer in der Welt unterwegs, hat sie mittlerweile einen Ruhepol in Europa gefunden. McNeills Alben sind mit ein wenig zeitlichem Abstand immer besser einzusortieren. Aber bereits jetzt ist klar, dass "One colour more" wohl ihre beste Platte ist. Auch weil sich so schöne Sätze darauf finden wie "The leaves and wild grasses / Were weakened by the chill in the breeze / Still summoned up the fortitude / To tickle us on the backs of our knees." Hach.
Highlights & Tracklist
Highlights
- One colour more
- Papusza and the crows
- Wide the wonder – wild the hunger
Tracklist
- One colour more
- In bocca al lupo
- Owl and boy
- Papusza and the crows
- Civilized sadness - March 16, 1988 lament
- J'arrive à la ville
- When the strangest weed takes hold
- September
- Wide the wonder – wild the hunger
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Jennifer
2014-10-15 21:55:03
Frisch rezensiert. Meinungen?
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