Perfume Genius - Too bright

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 19.09.2014
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Der blanke Horror

Am Anfang ist alles ein bisschen wie immer bei Mike Hadreas alias Perfume Genius. Wirft man einen Blick auf das Cover seines dritten Albums "Too bright" steht er da, mit strengem Gesichtsausdruck, die Haare fest an den Kopf gegelt, das goldene Nietenhemd schmiegt sich hauteng an den Körper – das ewige Spiel mit der Androgynität beginnt. "I decline", der balladeske Opener, könnte in seiner fragilen Struktur auch auf dem 2010er Debütalbum "Learning" oder dem zwei Jahre später erschienenen "Put your back n 2 it" platziert worden sein und knüpft nahtlos an "Sister song" vom Vorgänger an. Doch dann kommt alles anders.

"I decline" verweigert die Voraussicht auf das, was folgen soll, geradezu vorzüglich. Hat man nach diesen ersten zwei Minuten noch das Gefühl, dass "Too bright" auch wieder mit ein paar zierlichen, durch Mark und Bein gehenden Pianoballaden überzeugen wird, zerschmettert "Queen" diese Gedanken schon in den ersten Sekunden mit verzerrtem Bass, wütendem Schlagzeug, aus der Reihe tanzenden Synthies und einem Hadreas, der hier gar nicht so klingt, wie man es bisher gewohnt war. Offensiv gibt er sich, haut allen Idioten ihre Angst vor Schwulen und Lesben um die Ohren und stellt ihre Homophobie als bloßes Arschlochtum bloß: "No family is safe / When I sashay." Das dazugehörige Video erledigt den Rest: Wie ein verlängerter Arm des Songs sorgt es für Unruhe, regt zum Nachdenken an – vor allem aber läutet es eine neue Zeit für Perfume Genius ein.

Es ist nicht das erste Mal, dass Hadreas versucht zu provozieren – unvergessen bleibt das schlichte wie starke Musikvideo zu "Hood", in dem der ebenfalls schwule Pornodarsteller Arpad Miklos mitspielte, bevor er sich 2013 das Leben nahm. Und doch wirkt "Too bright" stellenweise wie ein Befreiungsschlag, als habe Hadreas nun endlich seine Nische gefunden und würde sich vollends in dem Rahmen bewegen, in dem er sich am wohlsten fühlt. Das kann für Fans der beiden letzten Alben verstörend wirken. "There is no angel above the grid", singt er in der düsteren Suizidballade "Grid", in der ein unheimlicher Kinderchor und schließlich das panische Geschrei von Hadreas selbst für mehr als nur etwas Gänsehaut sorgen. War Unbehagen bei Perfume Genius bisher eher unterschwellig zu vernehmen, wird es auf dem dritten Album als ganz offensichtliches Stilmittel umfunktioniert. Die hektische Synthie-Pop-Nummer "Longpig", ein Slangausdruck für Menschenfleisch, sorgt mit Kannibalismus-Andeutungen für kaltes Grauen, das womöglich nur noch von "I'm a mother" übertroffen wird.

"I'm a mother" – der Horror entsteht hier nicht durch Lautstärke, sondern durch Zurückhaltung. Hadreas schreit nicht, er singt nicht einmal. Er flüstert, seine Stimme klingt verzerrt. Böse überwiegt hier, Gut hat keine Chance, die Geschichte hinter dem Stück dürfte eine Premiere des Genres sein – es geht um eine Geburt über den, nun, Allerwertesten. Wem das noch nicht reicht, der traut sich vielleicht an das schrille "My body" ran, um schließlich doch noch erschöpft aufzugeben. Aber es gibt auch zwar nicht weniger aufwühlende, aber immerhin etwas gemäßigtere Momente wie etwa das geplagte "Don't let them in" oder auch den hochdramatischen Titeltrack. Den besten Song hat sich Hadreas jedoch für den Schluss aufgehoben: "All along" fasst in knapp zweieinhalb Minuten und ohne Effekthascherei alles zusammen, was er in den vorherigen zehn Songs zu sagen versucht hat: "I don't need your love / I don't need you to understand / I need you to listen." Mehr denn je, ganz offensichtlich.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Queen
  • Grid
  • Too bright
  • All along

Tracklist

  1. I decline
  2. Queen
  3. Fool
  4. No good
  5. My body
  6. Don't let them in
  7. Grid
  8. Longpig
  9. I'm a mother
  10. Too bright
  11. All along
Gesamtspielzeit: 33:15 min

Im Forum kommentieren

Rainer

2020-04-28 01:32:41

Grad erst jetzt mal durch Mr. Robot entdeckt. Schöner Artpop mit Hang zu Dramatik und Pathos, aber dazu diese fantastische Stimme und Produktion. Cool.

Demon Cleaner

2016-03-29 13:42:39

Von den ruhigen Songs finde ich den Titeltrack großartig. Sonst "Queen", "Fool", "Grid".

MopedTobias (Marvin)

2016-03-28 11:21:35

Die ruhigen Songs geben mir nicht so viel, aber Queen ist klasse. Gutes Album.

The MACHINA of God

2016-03-28 11:19:33

Spät, aber immerhin. Tolles Album.

Demon Cleaner

2015-11-21 01:38:08

Dieses Album ist immer noch so toll!
Ein Quantensprung für sein Schaffen.
"Queen" auch wohl sein bester Song bisher.

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