Flying Lotus - You're dead!
Warp / Rough TradeVÖ: 03.10.2014
Jazz lebt!
Einst war es Miles Davis, der den Jazz gleich mehrmals neu belebte. So stand die Legende einst sogar im Weißen Haus neben der First Lady, und als sie ihn fragte, was er denn geleistet habe, dass man ihn hierhin einlädt, antwortete er nur: "Ich habe mehrmals den Jazz revolutioniert. Und Sie?" Davis interessierte sich seit jeher für Grenzen, um diese einreißen zu können. Setzte den Jazz unter Strom und planierte damit Bahnen für den HipHop. Flying Lotus tritt mit seinem neuen Album in diese riesigen Fußstapfen. Da verwundert einen die Information nur wenig, dass seine Großtante die Frau von Jazzlegende John Coltrane war.
Auf seinem fünften Album kehrt der Mann, der mit bürgerlichem Namen Steven Ellison heißt, zu den ihm in die Wiege gelegten Wurzeln zurück: zum Jazz. Dazu hat er sich ein genau so großes wie unumgängliches Thema ausgesucht. Es geht um alles oder nichts, es geht um den Tod. Und das Unaussprechliche muss nun eben irgendwie verbalisiert werden. Doch der alte Widersacher erscheint auf "You're dead!" nicht als mieser, selbstsüchtiger Schwarzkuttenträger, sondern als Erlöser, als Neubeginn, als Erweiterung. Klingt jetzt etwas esoterisch und ist es auch, aber die kleinen Dinge interessierten Ellison noch nie, zumal er sich schon auf "Cosmogramma" mit Planeten und deren Konstellationen oder auf "Until the quiet comes" mit der uns umgebenden Stille beschäftigt hatte. Und wie unterschiedlich das Ultimative hier verhandelt wird, zeigt allein schon die Gästeliste mit Jazzlegende Herbie Hancock, Rap-Genius Kendrick Lamar, Kiff-Kopf Snoop Dogg und Ellisons eigenem HipHop-Alter-Ego Captain Murphy.
Brücken zwischen alt und neu werden hier geschlagen. Die 38 Minuten beginnen als Ritt, nein vielmehr als fast atemloser Galopp durch verschwitzte Jazzkeller, durch quietschend schreiende Saxofone und Patternwahnsinn. So klang Jazz als, er noch wild war, erdig, dreckig, energiegeladen und noch nicht im Hintergrund bei Starbucks lief. Wildes Schlagzeuggeraschel, hektische Gitarrenläufe aus alten Fusion-Platten – im Opener "Tesla" macht Flying Lotus sogar den Schneller-Höher-Weiter-Jazz wieder salonfähig. Und die Energie bläst den Hörer wirklich fast aus dem Ohrensessel. Dann in "Never catch me" die Erlösung: Klavierakkorde, die an eine The-Roots-Produktion erinnern, und die Stimme von Kendrick Lamar. Doch die Erholung ist auch hier bald vorbei, wenn der Rap-Jungstar aufdreht und abdreht. Mit Höllengeschwindigkeit und Energie geht’s durch die ersten Tracks – wenn das der Tod ist, dann schnallt euch an, denn er ist so rasant, dass Ihr ihn kaum wahrnehmen oder fassen könnt. Neuronale Überforderung. Alles wird immer schneller und dreht sich, man taumelt, will sich an einer Melodie festhalten oder an einem Basslauf. Doch sobald man nach etwas greift, verpufft es im gleichen Moment.
In der zweiten Hälfte klärt sich das Gewitter, hier fährt der Laptop-Frickler sanfte Rhodes-Klänge und verkifft zurückgelehnte Downtempo-Beats auf. Was anfangs noch wie ein Kampf gegen den nahenden Tod geklungen hat, löst sich in watteweichem Wohlbefinden auf. Chöre öffnen die Himmelspforte, die Gitarren klingen jetzt süß wie Zucker, Akkorde vergehen wie Rauchringe. Man wird von nichts weniger Zeuge als von der Reinkarnation des Jazz. Erwartungsfreudig geht man den weißen Strahlen entgegen und fragt sich, wie er wohl ist, dieser Tod. Gute Musiker hat er sich jedenfalls schon zur Genüge zu sich geholt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tesla (ft. Herbie Hancock)
- Never catch me (ft. Kendrick Lamar)
- Dead man's Tetris (ft. Snoop Dogg and Captain Murphy)
Tracklist
- Theme
- Tesla (ft. Herbie Hancock)
- Cold dead
- Fkn dead
- Never catch me (ft. Kendrick Lamar)
- Dead man's Tetris (ft. Snoop Dogg and Captain Murphy)
- Turkey dog coma
- Stirring
- Coronus, the terminator
- Siren song (ft. Angel Deradoorian)
- Turtles
- Ready err not
- Eyes above
- Moment of hesitation (ft. Herbie Hancock)
- Descent into madness (ft. Thundercat)
- The boys who died in their sleep (ft. Captain Murphy)
- Obligatory cadence
- Your potential / the beyond (ft. Niki Randa)
- The protest
Referenzen
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