Blonde Redhead - Barragán

Kobalt / Rough Trade
VÖ: 05.09.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Von innen zementiert

Natürlich ist die Tatsache, dass Künstler sich im Laufe ihres Werdegangs verändern, zu begrüßen. Würde jeder immer nur sein eigenes oder gar des Anderen Schaffen imitieren, kopieren und wieder aufwärmen, gäbe es zumindest mehr Vielfalts-Armut in der Musiklandschaft. Blonde Redhead waren Modifizierungen bislang durchaus aufgeschlossen. Auf dem Weg von ihrem 1990er-Jahre-Sound, als sie eher Fugazi- und Sonic-Youth-Gitarren nacheiferten denn selbstbewusssten, düster und kühl anmutenden Pop, wie auf ihrer letzten Platte "Penny sparkle", gab es mit dem atmosphärischen und dennoch nicht an Testosteron-Mangel leidendem "23" einen Übergang mit Ausrufezeichen.

Und wer das japanisch- bzw. italienischstämmige Trio aus den USA im Jahr 2007 als Support auf der Interpol-Tour wahrgenommen hatte, mag sich im Nebel ihres tollen, teilweise post-punkig angehauchten Konzerts vielleicht auch eine weiteres Album im Stil von ebendiesem "23" gewünscht haben. Doch in der Folge schienen sich Blonde Redhead mehr und mehr in ihrem Sound zurückzuziehen, wurden unnahbarer und auch ein wenig experimenteller. Nicht, dass "23" keine ruhigen Momente hatte, doch ihr insgesamt neuntes Album "Barragán", benannt nach der Casa Luis Barragán, einem berühmten Haus bei Mexico City, konstruiert von dem gleichnamigen Nachkriegs-Architekten, führt in seinem Klangbild doch eher die künstlerische Skizze des Vorgängers fort.

Mit Drew Brown zeichnete sich schließlich auch derselbe Produzent federführend. Wobei bereits das raffinierte "Lady M" deutlich macht, dass der Fokus noch stärker auf Kazu Makinos lieblich-zarter Stimme liegt. Daneben dulden Blonde Redhead in diesen zehn neuen Stücken dann auch oft nur ein einziges, starkes Element. Mal einen nie zurücksteckenden Synthie-Beat, wie im guten Neunminüter "Mind to be head", mal ein hartnäckiges Keyboard- oder Gitarrenmotiv, wie in "The one I love" und "No more honey". Einzig die erste Auskopplung "Dripping" zerrt den Hörer mit Beat und tollem Basslauf unter die halb beleuchtete Disco-Kugel, wie in früheren Tagen.

Hier und da aber muss sich "Barragán" dann aber auch die Kritik gefallen lassen, dass die Ideen zu gleichförmig gen Horizont mäandern, sodass einiges vor sich hin plätschert. Die Casa Luis Barragán wurde als Weltkulturerbe ausgezeichnet – als ein nach dem zweiten Weltkrieg neue Entwicklungen darstellendes, die traditionelle, philosophische und künstlerische Strömungen in eine neue Synthese integrierendes, meisterliches Bauwerk. Was die musikalische Beschaffenheit von "Barragán" angeht, können wir uns nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Machen Blonde Redhead schließlich auch nicht. Die haben drinnen ihren Sound gesucht – und dort zementiert.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dripping
  • No more honey
  • Mind to be had

Tracklist

  1. Barragán
  2. Lady M
  3. Dripping
  4. Cat on tin roof
  5. The one I love
  6. No more honey
  7. Mind to be had
  8. Defeatist anthem (Harry and I)
  9. Penultimo
  10. Seven two
Gesamtspielzeit: 42:55 min

Im Forum kommentieren

-dreamseller-

2014-10-08 08:54:37

@musie

War am Samstag in Fribourg am Konzert, toll! Schon erstaunlich, wie sich die für Blonde Redhead ganz eigene Stimmung durch sämtliche Songs zieht.

Ich hätte mir insgeheim noch ein paar noisigere Sachen von früher gewünscht, aber die Zeiten sind wohl definitiv vorbei.

wilson

2014-10-06 00:10:22

@Genervter:
du hast natürlich vollkommen recht. trotzdem cool bleiben... ;-)

musie

2014-10-05 23:55:23

das konzert eben war grossartig. dieser thread hier ist scheinbar so eine art tagebuch für mich.. :-) wird sich aber schon noch ändern, wenn die so weitermachen sind sie dann zumindest schon head oder fast head an den indiefestivals wie primavera etc.

musie

2014-09-16 07:21:58

ich hab diese rezension reinkopiert weil sie wirklich passt zu einem meiner lieblingsalben des jahres:

'Über zwanzig Jahre musiziert Kazu Makino nun schon mit den Brüdern Simone und Amadeo Pace. Zu behaupten, sie hätten dies nahezu unbeobachtet getan, wäre übertrieben, aber ihre Anhängerschaft ist überschaubar – wie immer, wenn man eine Nische bespielt und ehrenwerter Weise für sich beschlossen hat, diese für großes Geld und noch größere Hallen nicht zu verlassen. Über ihrer steht im Übrigen in großen Buchstaben ‚Dreampop‘ geschrieben – was auch immer das heißen mag – und man kann Blonde Redhead hoch anrechnen, das sie diesen eigenartigen Begriff über die Jahre sehr weit gedehnt haben. Die letzten zwei, drei Alben wandelten beispielsweise zwischen bittersüßen Tagträumereien (insofern doch ein Genrebezug) und schwer melancholischem Klagegesang, verführerisches Moll, feingewebte Gitarren und Makinos mal feen-, mal sirenenhafte Stimme bestimmten das Bild.

Für das Verständnis des nun folgenden „Barragán“ ist es hilfreich, auch die Arbeit der Band an weniger bekannten Projekten zu erwähnen: Neben der Initiation der Erdbeben-Benefizplatte „We Are The Works In Progress“ haben Blonde Redhead auch die Soundtracks zu zwei Filmdokumentationen geschrieben – zum einen für Keven McAlester’s „The Dungeon Masters“ und später zu Brendt Barburs Film „The Commentator“, Computerspiele und Radklassiker, beides keine Themen, hinter denen man eine Indiepopband vermuten würde. Die Liebe zu konzeptionellen Scores läßt sich nun auf dem vorliegenden Album deutlich heraushören. Denn wie keine ihrer Platten zuvor ist diese hier wie die Klangkulisse zu einem fiktiven Drama angelegt.

Wer die Filme von Pedro Almodovar kennt und liebt, der wird zwischen ihnen und der Musik von „Barragán“ einige (unfreiwillige?) Parallelen erkennen können. Auch hier kippen die Stimmungen ineinander über, wechseln von beschwingt und lebendig über träge und schwermütig zum großen, gern auch theatralischen Gefühlsausbruch. Begleitet von einer Alltagsgeräuschkulisse gibt also es nach zarter Einstimmung die verzaubernden Töne der „Lady M“, gefolgt von federleichten Takten und herrlich schiefen 80er Synths („Dripping“) und den lässigen Hooks zum fettem Bass der „Cat On Tin Roof“. Richtiggehend südländisch dann „The One I Love“, das selbst gleich mehreren Richtungen folgen will. Und weil diese großartige Platte neben vielen Abwechslungen und Gegensätzen auch Herzstücke braucht und hat, kommen mit „No More Honey“, „Mind To Be Had“ und „Defeatist Anthem“ – zusammen knappe zwanzig Minuten lang – gleich drei Songs am Stück, die sich auf angenehme Weise dem verspielten Psychrockblues von Warpaint nähern.

Sie machen das so ähnlich, aber auf ihre Art deutlich puristischer und genau dies ist einer der wichtigsten Wesenszüge des Albums: Blonde Redhead haben für „Barragán“ gelernt, mit weniger mehr zu machen, haben die Anzahl der Instrumente und Schichten für den neuen Sound merklich zurückgenommen und erzielen dennoch eine vergleichbar beeindruckende Wirkung wie auf den vorangegangenen Werken. Ob nun Akustikgitarre, Flöte oder sogar eine Maultrommel, programmiertes Geplucker, die Riffs einschmeichelnd melodiös oder laut und schräg, es wird nichts übertrieben und immer mit Bedacht kombiniert und so ist der Gesamteindruck ein guter und bleibender. Und jetzt, wo das erste Halbjahr schon gedanklich gewogen ist, darf man sich schon mal zur Ansage versteigen: Top Twenty 2014, mindestens. mapambulo:blog'

musie

2014-09-04 17:44:28

es wächst bereits :-) das könnte was werden!!

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