Tiemo Hauer - Camìlle

Green Elephant / Soulfood
VÖ: 22.08.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Tränenmär

Heul doch! Irgendwer mit ein wenig Lebenserfahrung sollte Tiemo Hauer mal erzählen, dass die erste große Liebe selten auch die letzte ist. Der 24-jährige Trauerkloß hat nämlich hörbar Schwierigkeiten, mit den Enttäuschungen umzugehen, die eine gescheiterte Beziehung so mit sich bringt. Ein Großteil der Songs auf "Camìlle" beschäftigt sich mit den unerfreulichen Begleiterscheinungen einer Trennung. Das klingt immer höchst leidenschaftlich, manchmal jedoch auch reichlich peinlich. Etwa, wenn Hauer in "Gottverdammter Laden" zusammendichtet: "Ich fühl' mich wie ein Mann / Und dann ruf ich bei Dir an / Du gehst natürlich nicht dran / Und ich fang zu Weinen an." Schnief. Zeilen wie diese dürften wohl in jedem heikle Erinnerungen wecken, der sich am Ende einer pubertären Liebschaft schon einmal zum Löffel gemacht hat.

Auch abseits der auf diesem Doppelalbum überbordenden Herzschmerzduseleien schippert Hauer textlich in eher seichten Gewässern: "Wenn mein Leben ein Schiff ist / Bin ich der Kapitän / Ich muss sehen, ob's tief genug ist / Und wo die Winde wehen", selbstzweifelt er in "Statt Land mehr". Wer hier tief eintauchen will, der stößt sich den Kopf. Es liegt zweifellos nahe, den Maler solch schiefer Bilder zu belächeln. Mädchenmusik, Jammerlappen und so. Schwierig macht die Sache allerdings, dass Tiemo Hauer über mindestens so viel Talent wie Tränenflüssigkeit verfügt. Und jeden auch nur halbwegs für pathetisch-melancholische Kompositionen aufgeschlossenen Hörer deshalb nicht allein auf peinliche Weise zu berühren vermag. Der Stuttgarter hat nämlich ein Händchen für Melodien, die im Ohr bleiben und versteht es blendend, aus den zahlreich eingestreuten Einflüssen seiner musikalischen Sozialisation etwas durchaus Eigenes zu stricken.

Das Klangbild von "Bleib bei mir" ziert ein elektronischer Rahmen, der an "Reunion" von The XX gemahnt, Caspers Poesiealbum-Lyrik zitiert er wörtlich in "Adler", einer wahrlich bittersüßen Symphonie, in deren Video er als pausbäckige Ausgabe von Richard Ashcroft durch die Straßen wandelt. Die Vokale dehnt der Nachwuchsbarde mit Uhlmannscher Hingabe, kraftvolle Rio-Reiser-Gedächtnisgesänge wechseln mit verhuschten Maximilian-Hecker-Klaviermomenten, beides funktioniert. Etwas aus der Reihe tritt derweil ein tongewordener Wutausbruch namens "Herz / Kopf": "Fick Dich Liebe, fick Dich ins Knie / Ich mochte Dich schon immer, aber Du mochtest mich nie", brüllt der Ich-Erzähler da gegen wildes Getrommel an, das diesem Song den sonst omnipotenten Hang zum Kitsch kräftig aus der Seele prügelt.

Wirklich stark ist der junge Mann ohnehin immer dann, wenn er nicht dem Verlorenen nachweint, sondern sich mal ein bisschen locker macht und trotzig, rotzig oder eben wütend schaut, was zukünftig noch so möglich ist. "Mit dem Teufel tanzen gehen" ist eine der guten Absichten, die er im dramaturgisch famos aufgebauten Opener "Ganz oder gar nicht" formuliert. Am Ende obsiegt erfreulicherweise auch der Humor über das Leid: "Es gibt keine Liebe ohne Schmerz, sagte der Hase, und umarmte den Igel", singt er da. Wenn schon Tränen, dann vor Lachen.

(Andreas Beckschäfer)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ganz oder gar nicht
  • Herz / Kopf
  • Adler
  • Hase & Igel

Tracklist

  • CD 1
    1. Ganz oder gar nicht
    2. Bleib bei mir
    3. Viel erlebt
    4. Wenn Du gehst
    5. Ich seh Dich nicht
    6. Sigur Rós im Regen
    7. Vielleicht muss ich gehen
    8. Herz / Kopf
    9. Wegen mir
    10. Was Dich nicht umbringt
    11. Statt Land mehr
    12. Rotebühlplatz
    13. Gottverdammter Laden
    14. Nur Luft
    15. Adler
    16. Ich drehe um
  • CD 2
    1. Spero in te
    2. Schwarzes Glück
    3. Giasmin
    4. Hase & Igel
    5. Altes Paar
Gesamtspielzeit: 87:04 min

Im Forum kommentieren

Lazybone1

2014-08-18 20:25:36

Da ist noch deutlich Luft nach oben. Für ein Strassenfest reicht's grade eben. Aber der Junge hat durchaus Potential, jetzt muss er's nur noch nützen.

Thielo Sauer

2014-08-18 19:31:36

Soll sich mal einen ordentlichen Namen zulegen.

Armin

2014-08-18 19:16:32

Frisch rezensiert! Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum