
Ill Niño - Till death, la familia
Victory / SoulfoodVÖ: 25.07.2014
Buckelige Verwandtschaft
"Schwiegermutter, was stehst Du denn vor der Tür im Regen? Geh doch wieder nach Hause!" Eben diesen Klassiker angeheirateter Völkerverständigung möchte man angesichts eines neuerlichen Albums von Ill Niño ausrufen, die ja eigentlich niemand mehr zur gemeinsamen Abriss-Party eingeladen hat. Zur Erinnerung: Es geht um um jene adrett tätowierten Herren mit den schlecht zu föhnenden Frisuren, die ihre Begeisterung für südamerikanischen Metal-Crossover schon Ende der 1990er Jahre in die Welt hinaus grunzten, sich dafür jedoch stets im nachfolgenden Takt mit einer salbungsvollen Melodie zu entschuldigen pflegten, als ob sie ein fürchterliches Sakrileg begangen hätten. Eben jene Unentschlossenheit haben sich die notorischen Schweretöner über die Jahre bewahrt, richten das eine Album seither etwas rabiater, das andere wieder eine Bettkante softer aus, damit ihnen ja niemand fehlende Weiterentwicklung vorhalten kann. Dabei ist genau diese der Fall.
"Live like there's no tomorrow" ruft Sänger Christian Machado seinen Hörern zu, als ob diese nur darauf gewartet hätten, ihre Hauswände einzuschlagen, alles in den Teppich zu rollen und wegzuschmeißen. Doch der erwartete Butzen-Sturm bleibt aus. Denn die gebotene Inbrunst beschränkt sich auf Zimmerlautstärke, die Gitarren wurden mit Kreide heruntergestimmt und selbst die dreckigsten Moshparts scheinen noch mit Perwoll gewaschen worden zu sein. "Not alive in my nightmare" kotzt sich demnach gelinde kurz aus und wischt gleich alles selbst weg, denn der Anstandsbesuch kommt ja gleich. Eine liebreizende Art der Revolution, wie sie sich höchstens der amerikanische Mittelstand vorzustellen vermag. Derartig mit Verzagen behaftet geht "Are we so innocent" schon fast als faustdicker Screamcore-Abklatsch durch und kann noch als einer der unterhaltsamsten Momente in diesem Tümpel der Angepasstheit vermerkt werden. Dem hat auch die Wohlstands-Beipackzettel-Hymne "World so cold" nichts mehr entgegenzubrüllen.
Ill Niño sind im Fahrwasser des Nu Metal groß geworden, und so wie dieser haben sie es sich seither in der eigenen Enklave gemütlich gemacht. Versatzstücke aus härteren Gangarten dominieren auch 2014 weiterhin die Gitarrenarbeit: Teils dem Punkrock entnommene, meist vom Thrash- und Power-Metal inspirierte Riffs prallen auf ein buntes Perkussionsgewitter, das sich zwischen den Tribal Beats der großen Vorbilder Soulfly und Double-Bass-Gewittern schwerwiegender Kaliber wie Machine Head oder Fear Factory austoben darf – natürlich alles im Rahmen der gesetzlichen Lärmschutzversicherung. Einflüsse aus der lateinamerikanischen Musikgeschichte sucht man leider meist vergebens. Nur der einst von Badesalz ins Rennen geworfene Bongo-Karl glänzt mit vereinzelten Soli und einigen neckischen Kontrapunkten. Ansonsten überwiegen gefällige Refrains für Abi-Partys und Chöre aus der Spülmittelwerbung. Die wenigen genretypischen Dissonanzen sind da wie der berühmte Socken in der Waschmaschine – sie verschwinden.
Alles in allem hat "Till death, la familia" weniger etwas von einer mafiösen Vereinigung mit all ihren liebreizenden Versuchungen und Angeboten, die man nicht ablehnen darf, als von dem Stück Familie, das man sich nicht aussuchen kann: Es begleitet einen nicht nur bis an, es treibt mitunter auch in das Lebensende. Was Wunder, wenn einem solche Exemplare daher den berühmten Buckel herunterrutschen können.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Are we so innocent
- World so cold
Tracklist
- Live like there's no tomorrow
- Not alive in my nightmare
- I'm not the enemy
- Blood is thicker than water
- Are we so innocent
- Pray I don't find you
- World so cold
- Dead friends
- Breaking the rules
- Payaso
- My bullet
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killmeplease
2014-08-04 17:15:28
eigentlich noch eine der besseren new metal kapellen, sind recht eigenständig und bleiben sich treu..
Apfelschorle mit zu viel Apfel
2014-08-01 08:24:48
Die Band gibt es immer noch?
Armin
2014-07-31 22:08:45
Frisch rezensiert. Meinungen?
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