To Rococo Rot - Instrument

City Slang / Universal
VÖ: 18.07.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 10/10
10/10

Reizend lügt güldne Zier

Weglassen heißt Platz schaffen. Für Neues, Altes oder Gebrauchtes. Benötigt wird dazu lediglich der Mut zur Lücke. Schon Blixa Bargeld fragte sinnend: "Gibt es Überflüssiges, Festgewordenes, das sich abstreifen lässt, das sich abwerfen lässt wie Ballast, Sandsäcke aus einem Freiballon?" Das Berliner Electronica-Trio To Rococo Rot weiß diese Frage mit einem klaren "Ja!" zu beantworten. Bassist Stefan Schneider und die Gebrüder Robert und Ronald Lippok üben sich bereits seit 1995 darin, Musik aufs Nötigste zu reduzieren. Den elektronischen Freiraum zwischen Kraut- und Post-Rock besetzend, mit allerhand analogen Geräuscherzeugern im Gepäck.

Während sie auf ihren letzten Alben eher experimentelle Töne anschlugen, stellt "Instrument" eine Rückkehr in konventionellere Gefilde dar. Sogar eine Stimme erklingt: Der in drei Stücken auftretende Gastsänger Arto Lindsay setzt sein Organ zwar nur äußerst zurückhaltend, dafür aber sehr gefühlvoll ein. Besonders das entspannt groovende "Classify" profitiert von der sanften Stimme des Vokalisten. Im Mittelpunkt der Musik stehen allerdings Schneiders rollende Bassfiguren, die die Basis für mehr oder minder exzessive Soundspielereien bilden. So ist das erstaunlich tanzbare "Down in the traffic" ein Musterbeispiel für eine gelungene Symbiose aus repetitiven Rhythmen und brodelnden Synthielinien. Auch "Besides" mäandert um ein Bass-Ostinato herum, ein dynamischer Ausbruch wird jedoch nur angetäuscht.

Dass To Rococo Rot das Verstören nicht verlernt haben, beweist "Pro model". In bester Autechre-Tradition wird hier ein monotoner Beat so lange mit ebenso kruden wie atonalen Sounds torpediert, bis nichts außer Gefiepe und Geblubber übrig bleibt. Den Höhepunkt markiert eine klassische Acid-Basslinie, die ebenso unvermittelt verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Auch der Schlusstrack "Longest escalator in the world" suhlt sich in schrägen Tönen, ehe Lindsay dem nach Struktur lechzenden Hörer den Rettungsanker zuwirft. Der zerbrechliche Gesang kämpft dabei gegen die immer lauter werdenden Maschinen an - und verliert. Gemütlichkeit ist Illusion.

Denn trotz der organischen Basis bleibt die Musik der Berliner unnahbar und kühl. Dies wird vor allem in "Baritone" offenbar: Die im Verlauf des Tracks immer bedrohlicher wabernden Soundscapes erzeugen jene Sehnsucht nach Leere, die nur durch die Trennung von Altlasten bedient werden kann. Und hier schließt sich der Kreis: Überflüssiges findet auf "Instrument" nicht statt. Nicht das Spektakuläre, sondern das Unscheinbare steht im Vordergrund. Die relative Gleichförmigkeit der Tracks fungiert als Ablenkungsmanöver, denn erst wiederholtes Hören offenbart die in den Zwischenräumen versteckten Perlen. Gut, dass genug Platz geschaffen wurde, um sie auch zu finden.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Down in the traffic
  • Baritone
  • Gitter
  • Longest escalator in the world (feat. Arto Lindsay)

Tracklist

  1. Many descriptions (feat. Arto Lindsay)
  2. Besides
  3. Down in the traffic
  4. Classify (feat. Arto Lindsay)
  5. Baritone
  6. Spreading the strings out
  7. Pro model
  8. Sunrise
  9. Gitter
  10. Longest escalator in the world (feat. Arto Lindsay)
Gesamtspielzeit: 38:21 min

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  • To Rococo Rot (7 Beiträge / Letzter am 09.07.2014 - 20:53 Uhr)