Swans - To be kind
Mute / GoodToGoVÖ: 09.05.2014
Putengemetzeltes
Wäre das hässliche Entlein doch nur Entlein geblieben: Schwan sein hat das Äußerliche betreffend zwar enorme Vorteile, aber die langhälsigen Wasservögel zählen in Wahrheit zu den größten Arschlöchern im Tierreich. Bevor das geflügelte Wort vom "Wolf im Schafspelz" erfunden war, sagte man wohl schlicht "Schwan" zum scheinbar Flauschigen, scheinbar Liebenswürdigen. Swans feiern indes 30-jähriges Bandjubiläum und sind sich heute wie vor drei Jahrzehnten ihrem Spiel mit der Verpackung und dem Verpackungsinhalt bewusst. Auf ihrem 2012er Meisterwerk "The seer" verkündeten die New Yorker düstere Prophetien vom Inferno, das Titelbild der Platte zierte ein Wolf. Ein solcher im Schafspelz wohl, ein Schwan. Nach zwei Jahren veröffentlichen Swans mit "To be kind" wieder so einen zweistündigen Brecher als Doppelalbum. Mit St. Vincent, Cold Specks und Little Annie hat Düsternis-Beauftragter und Bandkopf Michael Gira erneut einige Gastsängerinnen für seinen Maskenball engagiert. Schon das kreischende Kleinkind auf dem Cover verrät: Das wird mal wieder kein Zuckerschlecken. "To be kind", von wegen.
Mit "Screen shot" eröffnet das Album nach Maß: Rattenfängerisch agiert der Schwan, der hypnotische Trackverlauf versetzt den Rezipienten und die Rezipienten innerhalb kürzester Zeit in den Alpha-Zustand. Seine ganze Drastik offenbart der Track neben den stoisch wiederholten Vocals und dem instrumentalen Gleichschritt durch sirenenhaftes Gewimmer aus der Tiefe. Etwa zur Hälfte des Titels bricht ein Piano aus dem marschierenden Glied und flieht mit schnellem Atemzug. Bis anderthalb Minuten vor Schluss lassen Swans sich Zeit, um die Lage eskalieren zu lassen. Der Marsch verkommt zum wilden Durcheinandergerenne. Ein Inferno mit Ansage, von der absoluten Stille bis zur Feuersbrunst konstruiert. "A little god in my hands" geht einen ähnlichen Weg, hat aber deutlich melodiösere Anteile, eingangs vielleicht sogar einen leicht funkigen. Eine Balalaika verzieht die Stimmung ins Obskure. Doch was gesichert erscheint, muss gebrochen werden: Ein gellendes Horn und apokalyptisches Synthiegeplenkel versetzen den letzten Pappkameraden im Publikum in Ohnmacht. Es ist wieder der Verfall des Geordneten ins Chaos, welcher mit seinen tausend Wegen dem Track die Schwere einhaucht und der feigen Neutralität den Schmerz entgegensetzt.
Das 34-minütige "Bring the sun / Toussaint l'ouverture" ist ein einziges Gruselkabinett, Giras Stimme wechselt unterstützt von Cold Specks vom Verführerischen ins Kehlenabschnürende. Wenn er Sätze wie "La sangre es vida" noch auf dem Weg ins Mikrofon zerbersten lässt, stellen sich die Nackenhaare auf der Gänsehaut auf. Die Instrumentierung wandert wie durch eine Höllenkulisse, kommt vom Berg ins Tal, erklimmt den nächsten Gipfel, gibt Hoffnung und lässt wieder schaudern. "She loves us" geht geradliniger dem Verderben entgegen, legt zum Einstieg mit Uptempo und Tamburin vor und erreicht letztlich schneller sein finales Niveau, in Höhen, wo ein Weiterbewegen nur noch mit Sauerstoffflasche möglich ist. Umgeben von wirren Kehlkopfgesängen, schreit Gira schließlich nur noch abwechselnd "Fuck" und "Halleluja", stellt der Misanthropie den unerhörten Hoffnungsschrei gegenüber. Im albträumerischen Gefasel endet das Stück.
Der Titelsong schließt den Leidensreigen auf "To be kind". Im glasfaserigen Hintergrundgewirr berichten Swans von einer Romanze: "To be kind / Lost in a bed touching you / To be lost / To be found in a sound of this room / There are millions and millions of stars in your eyes." Doch die harmonische Fassade beginnt zu bröckeln. Zur Hälfte des Stücks kocht die Instrumentierung kurz auf, holt noch zweimal tief Luft und enthüllt dann in voller Geschwindigkeit die hässliche Fratze einer unliebsamen Wahrheit, führt die Verführerin dem Richter vor und übernimmt die standrechtliche Erschießung selbst. Swans spielen dem Wahnsinn nahe mit der Anziehungskraft des Hasses, mit der Schönheit der Selbstbefreiung durch blanke Wut. Gewalt ist keine Lösung, aber sie törnt an. Wäre der Schwan doch ein Truthahn, seine Ekelhaftigkeit, seine Gewalttätigkeit wäre ihm anzusehen. Doch den Truthahn metzelt der Schwan genauso wie alles andere nieder, was ihm unter seinen scharfen Schnabel gerät – Swans setzen dem Hörer und der Hörerin ein ganz besonders kleingehacktes Menü vor.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Screen shot
- A little god in my hands
- She loves us
- To be kind
Tracklist
- CD 1
- Screen shot
- Just a little boy (For Chester Burnett)
- A little god in my hands
- Bring the sun / Toussaint l'ouverture
- Some things we do
- CD 2
- She loves us
- Kirsten supine
- Oxygen
- Nathalie Neal
- To be kind
Im Forum kommentieren
Demon Cleaner
2015-05-11 10:17:29
"Black Hole Man" ist auch toll, das stimmt. Mache mir da sowieso wenig Gedanken um die Qualität.
Höchstens, dass sie ein wenig zu sehr stagnieren, im Vergleich zu ihrer ständigen Wandlung innerhalb der ersten 10 Alben.
namenslos
2015-05-11 10:13:08
Frankie M ist schon ein fantastischer Song, stinkt aber gegen Black Hole Man ab. Vielleicht auch nicht. Beide sind fantastisch und genauso grandios wie die Songs auf The Seer und To Be Kind.
Demon Cleaner
2015-05-09 01:38:49
Nach der bisherigen Folge wohl nächstes Jahr.
Und wenn "Frankie M" drauf kommt, wird es wieder grandios.
retro
2014-12-22 18:59:50
finde die neue auch besser als "the seer". hätte mich ohne "to be kind" wohl nie mit den swans befasst...
noise
2014-12-21 11:22:29
Bei mir ist es eher umgekehrt. Gerade das dekonstruierende finde ich manchmal schon nervig. Trotzdem bleibt "The Seer" sicher auch für mich ein gutes Album.
Aber halt nicht so überragend wie "To Be Kind". ;-)
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