Amanda Rogers - Wild

Do It Together / Waves For The Masses
VÖ: 02.04.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Dann schlägt Dein Herz

Alle paar Jahre kommt so eine Künstlerin um die Ecke, die sich hinsetzt, anfängt zu musizieren und alle umhaut. Das kann – und muss vielleicht auch – für ordentlichen Diskussionsstoff sorgen, wie es etwa bei einer gewissen Joanna Newsom der Fall war, aber auch irgendwann in eine Art Selbstverständlichkeit übergehen. Eine Tori Amos etwa muss nach über 30 Jahren auf kleinen und großen Bühnen niemandem mehr etwas beweisen, auch die packende emotionale Gewalt einer Fiona Apple ist mittlerweile bekannt. Und über die musikalische Bedeutung einer Carole King kann es eigentlich gar keine zwei Meinungen geben. Kriegen wir ein Amen? Na also. Und dann gibt es eben alle Jubeljahre mal diese Künstlerin, die um die Ecke kommt, sich hinsetzt und musiziert – und kaum einer kriegt es mit. Oder wusstet Ihr, dass "Wild" bereits das neunte Album von Amanda Rogers ist? Eben.

Manchmal ist es eben nicht ganz fair. Ob solo, als Teil eines Kollektivs oder nur im Duo, irgendwie hätte die 31-Jährige mittlerweile längst ihren Durchbruch erleben sollen, spätestens mit dem durchweg fantastischen 2008er Album "Heartwood" wäre es an der Zeit gewesen. Und doch bleibt die Guteste ein Geheimtipp, dafür aber ein wirklich hervorragender. Ihr neues Doppelalbum "Wild" entstand, als Rogers nach zwei Jahren auf Tour, des Reisens überdrüssig, in ihre Heimatstadt Syracuse in New York zurückkehrte, ohne einen wirklichen Plan dafür, wie das nächste Werk klingen sollte. Heraus kamen 20 Stücke, die sie gemeinsam mit Jon Lessels und Patrick MacDougall (Heart, The Band) live aufnahm und an denen nachträglich kaum etwas überarbeitet wurde. Diese rohe Herangehensweise hört man ihnen an, sie ist Teil des Albums und macht tatsächlich einen Großteil seines Charmes aus. Wenn Rogers nach einem kurzen Pfiff den Opener "Welcome to the show" einzählt und schließlich einfach losspielt, wie es ihr gerade passt, packt das bereits nach 30 Sekunden. "Wild", das soll vor allem für den Aufnahmeprozess stehen, für die Rückkehr, die Ungewissheit und das langsame Herausfinden. Es steht aber auch für das, was es mit dem Hörer im Innern macht.

In der Tat sind die meisten Songs auf den ersten Blick alles andere als wild: Das bluesige "Walking" etwa handelt von Selbstzweifeln, dem Hadern mit sich selbst, sucht nach Fußstapfen, in die man treten kann. Währenddessen ist es bei "And the birds will sing" eher die Art und Weise, wie Rogers sich gibt – irgendwie leicht animalisch, weil kratzbürstig – und in "10¢ songbird" erklärt sich die New Yorkerin selbst mit ehrlichen Worten: "I'm a lowdown singer / Begging for my dinner / I'm a saint gone sinner / With my dimes, dimes, dimes". Von dem langhaarigen elfengleichen Geschöpf, das sich noch auf dem Cover von "Heartwood" präsentierte, ist hier jedenfalls nicht mehr viel übrig geblieben. Die Rolle einer Kämpferin für die amerikanische Arbeiterklasse nimmt sie im poppigen "More, more, more" an und geht mit den anzugtragenden Entscheidern hart ins Gericht: "I'll work three jobs and still be poor / So CEOs can have their whores" – danach möchte man sich mit einem Schild bewaffnet vor eine Bank stellen, oder sie am besten gleich kapern.

Die zweite CD von "Wild" startet mit dem melancholischen "Calendar of yesterdays", das den Blick zurück wagt, dabei aber nicht in trauriger Bitterkeit versinkt, sondern vielmehr ein liebevolles Bild zeichnet, sehnsuchtsvoll und geständig ob der eigenen Fehler. In "Sweet sleep" war noch alles gut, oder ist es wieder, wenn Rogers von einem Moment bei Nacht singt, im Bett neben dem schlafenden Partner, voller Leidenschaft und Sicherheit in der Stimme und zwei Köpfen auf einem Kissen. Zurück zu sich selbst findet das offenbar autobiografische "10 years closer", auf dem der Kampfgeist von der ersten CD wieder zum Leben erweckt wird. "The state I'm in" thematisiert mit Wortspiel ihr Nomadenleben als Künstlerin und ihre Zufriedenheit damit, und nach dem eigentlichen Abschluss mit dem wunderbar aufmüpfigen Titelsong gibt es als Bonus das Radiohead-Cover "Creep" oben drauf, das erstaunlich gut funktioniert. Wenn das mal nicht wirklich wild ist.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Welcome to the show
  • Walking
  • More, more, more
  • Calendar of yesterdays
  • The state I'm in
  • Wild

Tracklist

  • CD 1
    1. Welcome to the show
    2. 10¢ songbird
    3. Can't stop
    4. Walking
    5. Honey you'll bee
    6. More, more, more
    7. Sing in
    8. And the birds will sing
    9. Sad song
  • CD 2
    1. Calendar of yesterdays
    2. Ol' bag of bones
    3. The state I'm in
    4. Light sleeper
    5. This American Dream
    6. Sweet sleep
    7. 10 years closer
    8. Someone waits
    9. Genes I'm always wearing
    10. Wild
    11. Creep
Gesamtspielzeit: 76:15 min

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