Brad Mehldau & Mark Guiliana - Mehliana: Taming the dragon
Nonesuch / WarnerVÖ: 21.02.2014
Die Katzen-Jammer
Die Idee, Jazz mit Elementen der elektronischen Musik zu verbinden, ist nicht neu. Bereits in den Siebzigern versuchten sich Größen wie Miles Davis daran, ihre Improvisationen mit maschinell erzeugten Klängen zu erweitern. Die innovative Kraft, die jenen Grenzüberschreitungen innewohnte, legte das Fundament für zahlreiche, mehr oder minder eingängige Subgenres. Dass sich nun auch der renommierte Jazzpianist Brad Mehldau an die Elektrifizierung wagt, erscheint daher als logischer Schritt – besonders, wenn man bedenkt, dass Mehldau schon früher nicht vor Experimenten zurückschreckte. Sein mit der Sopranistin Renée Fleming eingespieltes Album "Love sublime" ist beispielsweise nicht nur Jazzhörern in guter Erinnerung geblieben.
Gemeinsam mit dem aufstrebenden Drummer Mark Guiliana macht sich Brad Mehldau nun also daran, den widerspenstigen Drachen, den sie Strom nannten, zu zähmen. Und tatsächlich hat das Debüt des Duos musikalisch mehr mit Squarepusher als mit dem bisherigen Oeuvre des Pianisten gemein. Im Zentrum steht der Dialog der beiden Musiker: Mehldau an Rhodes, Moog und diversen Synthesizern, Guiliana am Schlagzeug und an den Effekten. Die charakteristisch perlenden Arpeggios Mehldaus balgen sich hierbei mit den gerne auch einmal krummtaktigen Breakbeats des Perkussionisten, wobei die Musik trotz aller Dissonanzen und Experimentierwut stets groovt. Besonders die anfangs durch ihren schroffen Klang irritierenden Moog-Basslinien fahren dank des fein akzentuierten Drummings durch Mark ins Tanzbein. Und die Katze sitzt am Steuer.
Ja, die Katze. Im eröffnenden Titeltrack erzählt Mehldau nämlich von einem ziemlich wirren Traum, in welchem er von einer solchen durch L.A. kutschiert und in einen verstörenden Unfall verwickelt wird. Was aus dem Kontext gerissen wie ein schlechter Drogentrip klingt, ergibt in Bezug auf "Mehliana" aber durchaus Sinn: Die Sprunghaftigkeit, mit der Mehldau und Guiliana Ideen entwickeln und verwerfen, erinnert in der Tat an das Verhalten einer Katze. Der experimentelle Ansatz des Albums bringt allerdings mit sich, dass bei weitem nicht alle Tracks direkt zugänglich sind, und einige ins Leere driftende Fingerübungen wie "Hungry ghost" wollen auch nach mehrmaligem Hören nicht recht zünden.
Wenn die einzelnen Teile jedoch zusammenfinden, geschieht Großes. "Swimming" etwa ist ein Beweis für das untrügliche Gespür des Duos, Stimmungen einzufangen und zu vertonen. Das Zusammenspiel der beiden Protagonisten besitzt gerade in den leiseren Momenten viel Tiefe und Feingefühl. So kommt es nicht von ungefähr, dass Samples des französischen Chansonniers Serge Gainsbourg sich in "Gainsbourg" ganz wunderbar in das Klangbild einfügen. Dass Elektrojazz allerdings auch einfach nur Spaß machen kann, haben Mehldau und Guiliana nicht vergessen: "Sassyassed sassafrass" hat nicht nur einen zungenverschleißenden Titel, sondern auch den Schalk im Nacken – das ist Musik für beide Katzenohren. Ganz dicht sind die Drachenzähmer also sicherlich nicht, aber mal ehrlich: Lieber sonderbar als Sektbar.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Elegy for Amelia E.
- Gainsbourg
- Sassyassed sassafrass
- Swimming
Tracklist
- Taming the dragon
- Luxe
- You can't go back now
- The dreamer
- Elegy for Amelia E.
- Sleeping giant
- Hungry ghost
- Gainsbourg
- Just call me Nige
- Sassyassed sassafrass
- Swimming
- London gloaming
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Desare Nezitic
2014-04-05 00:28:45
Kann mich Watchful_Eye generell anschließen - sowohl was den abstrusen Daft Punk-Vergleich als auch Herbie Hancock angeht. Der Großmeister war auch meine erste Assoziation.
Möchte aber einmal Mark Guiliana herausheben: Einfach ein wahnsinnig starker Drummer, der das Album meiner Meinung nach sogar noch mehr veredelt als Brad Mehldau.
Auffallend sind auch die kaum vorhandenden Längen während den 72 Minuten, wobei ich bei Jazz oft zum abschweifen neige, gerade wenn die Gruppe allzusehr ins ausufernde Jammen gerät. Das Duo bleibt jedoch ständig fokussiert. Ich werde mich wohl etwas mehr mit Jazz, insbesondere Electric Jazz/Fusion, beschäftigen. 8/10
Highlights: You Can't Go Back Now; Sleeping Giant; Gainsbourg
captain kidd
2014-03-29 10:10:47
also meines wissens ist sextant der direkte vorgänger von head hunters - ein kommerzieller flop, deswegen klingt head hunters auch deutlich zugänglicher. aber klar: so ein mwandishi-feeling gibt es da auch. und an daft punk erinnert mich der sound of the future des ssinnteseisaas... finde auch die spoken-word-element irgendwie cool.
Watchful_Eye
2014-03-29 02:26:36
Jop, sehr starkes Album.
Den Daft Punk-Vergleich find ich recht gewagt - Herbie kommt hin, wobei ich das Album trotzdem längst nicht so funkig finde wie seine Sextant-Phase. Eher schon seine Alben vor "Head Hunters", denn da steckt neben Funk auch eine gute Portion sphärischer Ambient drin.
"Hungry Ghost" ist übrigens bisher mein Favorit. :)
captain kidd
2014-03-29 00:56:12
Echt ein super super Album. Klingt wie ne Mischung aus E.S.T und Daft Punk. Man könnte auch sagen: Dieses Album hätte Herbie Hancock nach Sextant aufnehmen wollen.
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- Brad Mehldau & Mark Guiliana - Mehliana: Taming the dragon (4 Beiträge / Letzter am 05.04.2014 - 00:28 Uhr)