St. Vincent - St. Vincent

Loma Vista / Caroline / Universal
VÖ: 21.02.2014
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die eigenen vier Wände

Annie Clark ist umgezogen. Also jetzt nicht wirklich, zumindest nicht soweit wir wissen, sondern eher im übertragenen Sinne: Den gitarrenbehangenen Kristallpalast, den sie sich mit ihren ersten drei Alben als St. Vincent auf waghalsigste Weise konstruiert hat, ließ sie bereits vor zwei Jahren zeitweise hinter sich, als sie sich mit dem Talking-Heads-Architekten David Byrne zusammentat und das hervorragende "Love this giant" errichtete, einen eklektischen Prunkbau aus Blechbläsern und Elfenbein-Imitat. Für ihren vierten Solo-Release zieht es die junge US-Amerikanerin in ein lila schimmerndes Panoptikum, für das sich Clark einen prächtigen Neurosengarten züchtete, in dessen Zentrum nicht mehr exaltierte Gitarrenmelodien stehen, sondern pumpende Synthieflächen.

Diese Wandlung mag für viele neutrale Beobachter ihrer Karriere überraschend kommen, grämen müssen sie sich indes nicht. Das selbstbetitelte Album vertraut – ähnlich wie die durch die Bank starken Vorgänger – auf das Popsong-Format, nur dass Clark eben gerne Haken schlägt, Kurven absichtlich in allerletzter Sekunde nimmt und sich oftmals in samtene Noise-Wolken fallen lässt. Das tat sie schon immer gerne, nun eben vermehrt mit völlig aus dem Ruder laufenden Keyboards, die beispielsweise im hyperaktiven "Birth in reverse" beinahe an den Rand eines Kurzschlusses getrieben werden. Mit dem dunkel funkelnden "Prince Johnny" hingegen konzipiert Clark eine elaboriertere Version des Hochglanz-Pops, durch den Lana Del Rey bekannt und beliebt wurde. Nur eben eine Ecke abseitiger und verwirrender.

"Digital witness" schlägt mit seinen abgehackten Bläsern die Brücke zur Byrne-Kollaboration und bastelt daraus einen fast schon tanzbaren Song, der vor allem auf Druck von Kollegin Depner – Drohungen wurden ausgesprochen! – in den Highlights auftaucht. Im ruhigen, semimelancholischen "I prefer your love" schlägt Clark ganz neue, zärtliche Töne an, die unterstreichen, dass sie hiermit sicherlich ihre variantenreichste, wenn auch nicht unbedingt zwingendste Platte veröffentlicht. Im besten Song des Albums, "Regret", wetteifern Saiten- und Tasteninstrumente um die Vorherrschaft, wobei letztlich doch wieder vor allem die betörende Stimme Clarks als Sieger hervorgeht: Mit ebenjener könnte sie Kevin Großkreutz glatt eine Schalke-Dauerkarte verkaufen. Oder Greg Graffin eine Bibel. Herrlich.

Inhaltlich berichtet "St. Vincent" vor allem von Unsicherheit, vorgetragen werden die elf Geschichten jedoch mit der Bestimmtheit, mit der die Künstlerin seit jeher auftritt. Der ein oder andere interpretiert dies auch als Unnahbarkeit, sicherlich nicht ohne Grund. Wärme oder "Muggeligkeit" (Dittsche) sind nicht zu erwarten, eher Distinktion und Schlussstriche. Geisterhaft wandelt daher auch "Every tear disappears" auf weiten, piependen Synthieflächen durch einen Wald aus Spiegeln und Nebelmaschinen, ein ganz und gar unwirtlicher Ort! Verträumt gerät letztlich der Abschied mit "Severed crossed fingers": eine beschauliche Nummer, die das Tempo rausnimmt und der Clark'schen Unordnung Einhalt gebietet. Die Kartons sind ausgeräumt, die Bude ist langsam eingerichtet. An die alten vier Wände denkt man trotzdem gern zurück.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Birth in reverse
  • Digital witness
  • Regret

Tracklist

  1. Rattlesnake
  2. Birth in reverse
  3. Prince Johnny
  4. Huey Newton
  5. Digital witness
  6. I prefer your love
  7. Regret
  8. Bring me your loves
  9. Psychopath
  10. Every tear disappears
  11. Severed crossed fingers
Gesamtspielzeit: 40:04 min

Im Forum kommentieren

fuzzmyass

2021-05-19 19:17:15

Ja, die neue ist leider ihre schwächste...

kingsuede

2021-05-19 19:15:34

Muss hier Moped mal zustimmen. Das neue langweilt mich da doch irgendwie.

fuzzmyass

2021-05-19 18:57:20

Masseduction finde ich auf Augenhöhe - für mich ihre besten

MopedTobias (Marvin)

2021-05-19 18:57:03

Finde die beiden Vorgänger noch ein Stück besser, aber dennoch ein fantastisches Album. Die zweite Hälfte fällt für mich leider etwas ab, der Anfangs-Run ist dafür aber bockstark, vor allem die Über-Hits "Birth in reverse" und "Digital witness".

poser

2021-05-19 17:44:40

Für mich immer noch ihr bestes Album.

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