Motorpsycho - Behind the sun

Stickman / Soulfood
VÖ: 07.03.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Nach fest kommt ab

Bent Sæther kann es. Hans Magnus Ryan kann es. Kenneth Kapstad kann es schon längst. Und Reine Fiske wohl erst recht. Letzterer begleitete Motorpsycho bereits auf ihrer ersten Post-"The death defying unicorn"-Platte "Still life with eggplant", die sich einiger liegengebliebener Musik der letzten 20 Jahre Motorpsycho widmete. Sæther, Ryan, Kapstad und Fiske also. Gemeinsam können sie was? Na klar: alles. So auch auf "Behind the sun", Motorpsychos sechzehntem Studioalbum, das sich weiteren Altlasten widmet, um sie zu Neuwohl umzuformen. Fiske unterstützt sie dabei bis auf einen einzigen Song erneut an Gitarre und Mellotron . Und das Maß, das Motorpsycho und er dabei halten, muss gar nicht erst gesucht werden – es ist nicht und war ohnehin nie vorhanden.

"Hell (part 4-6): Traitor / The tapestry / Swiss cheese mountain" ist ein wahres Song-Monster, stapelt die Bass- und Gitarrenfiguren zunächst beinahe postrockend ineinander, um darauf ultrageschmeidig in ein erstes Blues-Riff hinüberzugleiten. Nach einigen Fuzz-Box-Soli sind es dann aber vor allem die dezenten Soundmodulationen und Akustikpickings des Zwischenteils, die die Stimmung des Songs anheizen. Minutenlang nehmen sich Motorpsycho hier Zeit, um das Arrangement behutsam auf Space-Rock umzukrempeln. Und wenn sie schlussendlich in eben diesem ankommen, so macht das Gesamtbild augenblicklich noch ein wenig mehr Sinn als die Einzelteile. "Entropy" spielt einen herzerweichenden Nachklapp dazu, in Balladenformat und mit seinen guten sechs Minuten Spielzeit kompakter als der mehrteilige Vorgänger. Immer wieder schimmern und schweben hier auch einfache, stimmungsvolle Harmonien und Melodien durch den Hintergrund – ein Umstand, der auch den Rocksongs von "Behind the sun" des Öfteren durchaus guttun würde.

Doch eben da sind häufig genug Motorpsycho selbst vor. Sie singen inzwischen nur zu gerne Frank-Zappa-Tonleitern statt wiedererkennbare Hooklines – weshalb etwa zum Refrain des "Behind the sun" wunderbar stimmungsvoll, beinahe gelassen eröffnenden Openers "Cloudwalker (A darker blue)" nur noch drei Noten übrigbleiben, die Sæther altbewährt über alle vier Takte zieht. Auch sonst antworten Motorpsycho dem Credo "Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not" erneut mit der Frage: "Ja, aber wo bleibt denn dann der Spaß?" Das macht sie auf "Behind the sun" umso mehr zu einer Band der unbedingten Gegenwart. Alles in ihrer Musik passiert dann, wenn es eben passiert. Scheiß auf Ökonomie. Scheiß auf Klimax und Katharsis.

Eben dieser Ansatz ist ein dickes Argument für ihre ungebrochene musikalische Relevanz. Allerdings birgt er auch einige Gefahren. So verwässert sich etwa ihr Uptempo immer wieder zu einem Kräuternebel-Griffbrett-Gerutsche, das für echten Druck wohl auf die Live-Darbietung warten muss. Wie das instrumentale "Kvaestor (incl. Where greyhounds dare)", das zwar unfassbares Ramba Zamba veranstaltet, inklusive Drum-Roll-Soli und Sæthers unbeirrbarer Basslauf-Lokomotive – wirklich zupackend wird es hier jedoch kaum einmal. Auch das massiv übersteuerte Kuhglocken-Riff von "On a plate" dreht zwar typische Seventies-Schleifen, bleibt letztlich aber ein Rock-Veteran mit Motorpsycho-Überschuss. Und "Hell (part 7): Victim of rock" ... nun, hier kann sich jeder anhand des Klaus-Meine-Gedächtnis-Songtitels wohl so seine eigenen Gedanken machen.

"The promise" hingegen zieht zwar einen ähnlichen Gitarren-Wahnsinn auf, hetzt, treibt und ringt ihn allerdings auch rhythmisch derart konsequent zu Boden, dass sich der Song zu einem einzigen bebenden Spannungsfeld zurechtzittert. Und "The magic & the wonder (A love theme)" reitet ein Riff, das sich trotz aller Dickhosen-Ambitionen immer wieder in kurze Melancholie auflöst. Das ist dann genau die Konsequenz, die auch Motorpsycho für ihren Hi-Fi-Schmutzrock brauchen, um nicht vollständig in ihrem ureigenen Universum durch- und dabei so einige Schrauben zu überdrehen. Sprich: Motorpsycho können wahrlich alles und noch mehr – außer hauszuhalten. In jeder ausdenkbaren Gegenwart ist dies ihr größtes Plus, in dieser einen jedoch manchmal auch ein Widerstand, den es zu überwinden gilt.

(Tobias Hinrichs)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • The promise
  • Hell (part 4-6): Traitor / The tapestry / Swiss cheese mountain
  • Entropy

Tracklist

  1. Cloudwalker (A darker blue)
  2. Ghost
  3. On a plate
  4. The promise
  5. Kvaestor (incl. Where greyhounds dare)
  6. Hell (part 4-6): Traitor / The tapestry / Swiss cheese mountain
  7. Entropy
  8. The magic & the wonder (A love theme)
  9. Hell (part 7): Victim of rock
Gesamtspielzeit: 60:42 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2023-01-10 20:51:32

Diese Band ist einfach grandios. Hatte sie die letzten 2 Jahre vergleichsweise wenig gehört, aber jetzt geht es wieder richtig los. Ich glaub ich muss mich erstmal in der Kapstad-Phase austoben und dann wird das Ganze nochmal chronologisch angegangen. Aber sowas wie "The promise" oder "Kvaestor"... herrlich. Diese leicht verschobenen, jazzigen Grooves sind genau mein Ding. Plus 4 Teile "Hell" lot of Geprogge. Da war "Here be monsters" dann schon gut zum mal wieder bisschen runterkommen.

VelvetCell

2020-07-11 12:17:13

Here be Monsters fande ich schnell famos. Behind the Sun hat ein Weilchen gebraucht. Hier liebe ich insbesondere "Entropy". Die Eggplant – tja. Vielleicht ihr schwächstes, sofern man bei Motorpsycho überhaupt von schwach sprechen kann. Aber "Ratcatcher" zum Beispiel, geht mir im Mittelteil ziemlich auf den Sack.

noise

2020-07-11 11:40:56

Die Eggplant ist meines Erachtens die schwächste Scheibe in der Kapstadt Ära.
Aber, gehört die Monsters tatsächlich zu einer Trilogie? Finde schon, dass sie sich von den beiden Vorgängern unterscheidet.

Analog Kid

2020-07-11 07:51:44

Die Eggplant find ich schwächer, besonders den Longtrack. Die Monsters dagegen find ich super, hier ist der Longtrack grandios, Black Dog, der Crimson-König lässt grüssen, und die anderen Nummern sind ebenfalls hochklassig. Ein kurzes, knackiges Album, dass ich durchaus gerne mal höre.
Die Behind the Sun hat bei mir etwas gebraucht, ist ja auch wieder länger, aber die hat's in sich. Ist ebenfalls grösstenteils sehr stark, ist heftig gegrowed bei mir über die Zeit.

testplatte

2020-07-11 07:09:31

hach, motorpsycho ... weil auf der vorigen seite soviel von den konzerten geschwärmt wird: war denn zufällig auch jemand von euch beim allerersten konzert im conne island 1995 ?

da waren die - trotz der timothy's monster - noch ziemlich unbekannt hier und man hatte deswegen den saal künstlich verkleinert mittels in den raum geschobener seitenpodeste, damit es nicht so leer aussah. waren vielleicht max.100 hanseln oder so anwesend, aber da leg ich meine hand lieber nicht ins feuer, ist meine subjektive erinnerung.

in a nutshell: es war eines dieser konzerte, die man sein leben lang nicht vergisst, was für ein unglaubliches erlebnis ! wird für immer einen platz ganz, ganz weit oben auf der liste meiner persönlichen konzert-highlights behalten. macht mir bis heute gänsehaut, wenn ich mich mal wirklich zurückdenke ...

ich war grad ganz erstaunt, das man sogar davon die setlist auf setlist.fm findet - was für ein archiv. wen's interessiert:
https://www.setlist.fm/setlist/motorpsycho/1995/conne-island-leipzig-germany-2bda7042.html

und jeder motorpsycho-gig im conne island ist bis heute (wieder) pflichttermin, die kommen ja zum glück sehr gern dahin. ich mag es schon sehr, wenn man mit lieblingsbands aus der jugend zusammen altert und trotzdem noch sehr viel damit anfangen kann.








Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum