
Glassjaw - Everything you ever wanted to know about silence
RoadrunnerVÖ: 31.07.2000
Die Seele des Bastards
Wenn der Name des Produzenten einer Scheibe Ross Robinson lautet und dieser die Band vollmundig als "the new post-millennial destroyers of Adidas rock, R.I.P." ankündigt, schrillen alle Alarmglocken auf. Der Hype des letzten Jahres kreißte mal wieder und gebar also den nächsten Abklatsch der Marke Kid Bizkorn. Doch, halt! Wir wollen ja zunächst einmal möglichst unvoreingenommen an die Scheibe herangehen. Der Titel derselben, "Everything you ever wanted to know about silence", überrascht zunächst einmal. Wie jetzt? Stille auf einem New-Metal-Album? Hoffnung macht sich breit, daß hier vielleicht doch die eine oder andere neue Idee zu entdecken ist.
Und tatsächlich vertrocknen dem Rezensenten die Plagiatsvorwürfe schon bei den ersten Tönen im Munde. Was hier zwischen Gitarrenwänden, Stakkatodrums und ungekannter gesanglicher Intensität zusammengeschrubbt wird, gibt dem Emocore das Gefühl für Melodien und dem neutönenden Metal die Intelligenz zurück. Ungestüm, aber dennoch äußerst überlegt, bricht eine wahre Gefühlswelle über die gespannten Ohren herein und hinterläßt neben diversen dampfenden Trümmern auch ein paar feuchte Augen. "This is hardcore", würde Jarvis Cocker jetzt singen, wenn er nicht schon längst den Kopf eingezogen hätte. Schönheit wird zur Fratze. Wenigstens lächelt diese trotzdem verschmitzt durch ihre Entstelltheit hindurch.
Die in allen Ecken und Kanten versteckte Sehnsucht steckt in einem wilden Zweikampf mit den jederzeit wieder ausbrechen könnenden Gefühlskaskaden von Shouter Daryl Palumbo. Dieser gerade mal zwanzigjährige Bursche verblüfft nicht nur mit einer enormen stimmlichen Wandlungsfähigkeit, die selbst Jonathan Davis den Angstschweiß ins Gesicht zu treiben in der Lage ist, sondern schüttelt nebenbei auch noch äußerst fähige Verse aus dem Ärmel. "What causes my laughter at another's disease? / It's the bastard in me." Der innere Schweinehund scheint Palumbo ewig zu verfolgen. Auf dieser Platte gilt jedoch keinerlei Kampfhund-Verordnung.
Die aufgestaute Spannung entlädt sich in schonungslosen Abrechnungen mit der eigenen Verletzlichkeit, verkrüppelten Gefühlen und dem Rockbusiness als solchen. In all der Zerrissenheit und Verzweiflung findet wenigstens der Hörer Trost in großartigen Melodien wie in "Her middle name was Boom" oder "When one eight becomes two zeros". Schließlich erfährt man sogar noch viel mehr, als man eigentlich über die Stille wissen wollte. Dieses Wissen schmerzt mit der selben Schärfe, die Songs wie "Babe" oder "Siberian kiss" in die Wirklichkeit geätzt hat. Mit der Energie der viel zu früh verschiedenen Refused, der Intelligenz von Tool, der Emotionalität eines Keith Caputo und der Verzweiflung eines Chino Moreno bewaffnet, wuchern Glassjaw mit prächtigen Songs, die sich beim Rendezvous nach kurzer Kennenlernphase ohne Vorspiel direkt im Gehirn festzusetzen wissen. "As long as your mouth is shut / You'll still be beautiful" Und der Rest war ohrenbetäubende Stille.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Pretty lush
- When one eight becomes two zeros
- Lovebites and razorlines
- Her middle name was Boom
- Motel of the white locust
Tracklist
- Pretty lush
- Siberian kiss
- When one eight becomes two zeros
- Ry Ry's
- Lovebites and razorlines
- Hurting and shoving (She should have let me sleep)
- Majour
- Her middle name was Boom
- Piano
- Babe
- Everything you ever wanted to know about silence
- Motel of the white locust
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Affengitarre
2024-04-11 15:52:28
Da sind schon echt gute Sachen drauf, auch wenn die Songs und das Zusammenspiel aus Härte und Melodie noch nicht so ausgefeilt wie auf späteren Releases ist. Wenn die Texte nur nicht so übel wären. :D
The MACHINA of God
2019-12-06 18:33:25
Am Ende von "Locust" natürlich, sorry...
The MACHINA of God
2019-12-06 18:29:06
Liebe es immer wieder, wie am Ende dieses Wutbrocken dieses total entspannende Knistern am Ende des Titeltracks kommt. Das könnte ich im Endlos-Loop hören.
Affengitarre
2019-01-29 18:50:22
Mich nervt das Debüt irgendwann einfach. Immer dieses aggressive Geschrei, die Beschimpfungen. Da fehlt einfach oft der Song. Sowas wie "Ry Ry's Song" finde ich klasse, aber auch "Siberian Kiss" funktioniert, weil die einzelnen Parts gut ineinander übergreifen und der auch einen tollen Refrain hat. Natürlich muss nicht alles, was man hört, Pop, melodisch oder gar Song sein, aber für mich ist das über weite Strecken nur pubertäres Gepolter.
Das klingt jetzt natürlich alles sehr harsch und verbittert, so schlecht ist das Album gar nicht, aber das sind eben alles so Mängel, die der Nachfolger nicht mehr hat.
The MACHINA of God
2019-01-29 18:15:39
Schon passiert. :)
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