
Nathaniel Rateliff - Falling faster than you can run
Mod Y Vi / Thirty Tigers / Al!veVÖ: 24.01.2014
Endlich Nichtwisser
Wie die beiden Achsen am Nullpunkt im Koordinatensystem steuern der Protagonist und seine einst holde Dame aufeinander zu – und verpassen sich doch: "You can see me fall / Faster than you can run", konstatiert Nathaniel Rateliff im Titeltrack seines dritten Albums. Aufgefangen werden? Hatte er auch gar nicht erwartet: "Catch me, you never could." Mit ruhiger Stimme, die wahlweise an Lambchop oder Bruce Springsteens Ansprache in "Streets of Philadelphia" erinnert, erzählt Rateliff anschließend vom Aufprall, wie er laut loslacht, gen Himmel schaut und schmerzlos kontert: "Baby, it looks bad / Or maybe from the angle I'm at / Will I tear off my shirt / And wrap it out your wound." Dabei streicht der Mann aus Denver nur gelegentlich beiläufig über die Gitarre – ein nebensächliches, fast apathisches, automatisiertes Hinübergleiten zu einer Geschichte, wie sie symptomatisch für dieses Album ist.
Selbst in nebensächlich wirkenden Momenten ist der Hörer ganz nah bei Rateliff. Bei diesem stämmigen Typ mit Gitarre vor dem Bauch, der da vor dem geistigen Auge steht, einen Ton singt, sich just in dieser Sekunde in den Fokus spielt und die unnachahmliche Fähigkeit besitzt, binnen Bruchteilen von Sekunden die Lautstärke seiner Stimme zu regulieren wie einen Volume-Knopf an der Stereoanlage. All das war auch schon stilprägend auf "In memory of loss", gleichzeitig aber eben auch nur eins seiner vielen Mittel – und Rateliff beherrscht diese Kunst noch immer, wie der Opener beweist. "Still trying" startet mit bloßer Akustikgitarre, entwickelt sich aber unter E-Gitarre, Drumbeat und Orgel zwischenzeitlich zum seichten Roots-Rocker, in dem Rateliff über die Spucke auf seinem Selbst ins Nichts ruft: "I don't know a god damn thing."
Das mag freilich angesichts der Schrammen zutreffen, die zwischenmenschliche Verfehlungen hinterlassen haben und die man samt Unbeholfenheit, Leidenschaft und Missachtung aus diesem wortgewordenen Seelenleben herauszulesen vermag. Nicht aber auf die musikalische Umsetzung. Da begeben sich Lap-Steel-Gitarren im wunderbar traurigen "When do you see" gar auf Theremin-Spuren, wabert ein fieses Riff wie der Gilb hinter den Gardinen in "Forgetting is believing", spaziert "Laborman" Richtung Westküste und sitzt das forsche "Nothing to show for" mitten im Folk-Rock. Der jazzige Soul-Folk von "Right on" indes schlägt auf gelungene Weise eine Brücke zu Rateliffs Singer-Songwriter-Leidenschaft einerseits und seinem zwischenzeitlich ins Leben gerufenen Rhythm-And-Blues-Soul-Projekt Nathaniel Rateliff & The Night Sweats – nach ersten Höreindrücken nebenbei bemerkt nicht minder famos als dieses Album. Hüben wie drüben gilt: Rateliff textet so herrlich vielseitig wie vieldeutig, gibt sich in Aussagen wie "All I got is pages we can burn to warm ourselves" romantisch und verteilt gleichsam süffisante Backpfeifen: "If you're rollin' in it long enough your shit won't even smell." Das Leben ist dreckig – und Rateliff glücklicherweise kein Saubermann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Still trying
- Nothing to show for
- Three fingers in
- When do you see
Tracklist
- Still trying
- I am
- Don't get too close
- Laborman
- How to win
- Nothing to show for
- Right on
- Three fingers in
- Forgetting is believing
- When do you see
- Falling faster than you can run
Im Forum kommentieren
dreckskerl
2019-10-24 18:20:52
Im Rahmen der Auswahl der besten Alben der 10er ist dieses Album bei mir weit vorn, top 10 auf jeden Fall.
Ich liebe seine Night sweats Alben auch, aber bei diesem Album sind die Songs einfach sooo gut.
Großartig
Unbedingt anhören!
dreckskerl
2015-08-05 21:23:33
....den kenne ich natürlich auch schon und find ihn auch klasse, wobei mir die Stimme von Rateliff etwas mehr zusagt.
Mein persönlicher Überheld im Bereich Soul ist Van Morrison.
Seinen absoluten Zenith hatte er um 79 bis 81, da hatte er eine unglaublich gute Band und stimmlich sooooo "out of this world "gut.
Hier live in Montreux 1980.
https://www.youtube.com/watch?v=N4wwytI-Jx4&index=1&list=PLF95A2F065BF6FA36
Stephan
2015-08-05 21:03:46
Der Köln-Termin ist bei mir auch schon vorgemerkt.
Live kann ich dir aus dieser Genre-Ecke auch noch St. Paul & The Broken Bones empfehlen. Ganz großartig. Die touren sich aber gerade den Arsch ab und waren schon zwei Mal in Deutschland, dürfte wohl wieder ein bißchen dauern.
dreckskerl
2015-08-05 20:34:01
Ja super!
Die Hälfte der Songs konnte man im Netz ja bereits finden.
Schön, wenn der Rest auch so gelungen ist.
Ich werde mir die Band am 10.10. in Köln im Luxor anschauen!
Unbedingt hingehen, denke nicht, dass es für unter 20 Euro zur Zeit etwas ähnlich mitreissendes in diesem Genre zu hören sein wird.
Weitere Termine:
O6.10. Berlin, Postbahnhof, Club
07.10. München Amphere
11.10. Hamburg Molotov
Stephan
2015-08-05 18:12:34
Dem fast nichts hinzuzufügen, außer: Rezi folgt natürlich. Mag das Album sehr gerne.
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