Canterbury - Dark days
Hassle / SoulfoodVÖ: 17.01.2014
Eklektizistisch gut
Welcher (Musik-)Rezensent reflektiert im Normalfall seine eigene Redeposition, den Ort, von dem er spricht und seine (in-)aktive Rolle in der Urteilsbildung? Wird die Bedingtheit seiner Ansichten, die zweifelsohne subjektiv sind, jemals transparent? Ob Künstler oder Leser – was der Kritiker auch schreibt: Opposition ist ihm gewiss, denn seine Meinung scheint unwiderlegbar, vorgetragen in einem apodiktischen Ton. Dieser bestimmende Duktus, der seiner Arbeit zwangsläufig inhärent ist, schließt viele RezipientInnen und ihre Ansichten aus. Der Kritiker kann folglich nicht jedem Geschmack gerecht werden, was ihm in manchen Kreisen unweigerlich den Ruf eines stümpferhaften Kretins einbringt. Im Falle eines Musik-Rezensenten schrieb Georg Kreisler einmal bitterböse: "Es gehört zu meinen Pflichten, / Schönes zu vernichten als Musikkritiker, / Sollt ich etwas Schönes finden, / Muß ich's unterbinden als Musikkritiker." Wieviel Ironie hier auch mitschwingen mag, es muss noch einmal bedacht werden: eine Rezension spiegelt den individuellen Geschmack eines Einzelnen. Mit dem Stichwort subjektiv sind wir auch schon mittendrin in der Besprechung von "Dark days" des britischen Quartetts Canterbury.
Warum bekommt eine vielleicht in vielen Augen bestenfalls mediokre Indierockband mit ordentlichem Powerpop-Einschlag, von Plattentests.de eine Wertung von 7/10? Weil der Rezensent schlicht Gefallen an der Musik gefunden hat. Basta. Was die Briten auf ihrem dritten Langspieler produzieren, mag manchesmal gewiss an Beliebigkeit grenzen, doch das große Gesamtbild, ist auf seine Art mitreißend.
Vom O-beinigen Stadionrock-Einstieg mit "Expensive imitation" über die Jimmy-Eat-World angelehnte Uptempo-Nummer "Satellite" und unscheinbaren Balladen, wie etwa "By the trail" mit Sigur-Rós-meets-Emorock-Mittelteil, scheinen die Insulaner vielleicht etwas arg krampfhaft um musikalische Ausdrucksmöglichkeiten bemüht, um etwaiger Langeweile vorzubeugen, was die Zentralperspektive des Panoramas von "Dark days" im Kern aushebelt. Das ist mitnichten tragisch, möglicherweise aber auf den ersten Blick irritierend. Man sollte die Irritation jedoch hintanstellen und stattdessen den bittersüßen, keinesfalls anbiedernden Melodiebögen des beschwingt ergreifenden "Keep it moving" folgen; oder sich den majestätisch erhebenden Klavierakkorden von "Hold your own" und seinen einnehmenden choralen Schmeicheleien sowie gewitzten Arrangements ergeben. Dann lässt sich der Ersteindruck einer kaum eigenständigen Band, die Hinz und Kunz zusammenbringt, um überhaupt etwas zusammenzubringen, revidieren.
Schon gewinnt die Beiläufigkeit von scheinbaren Lückenfüllern wie "Think it over" an Dignität, die minimalen Füllungen in den Songfugen, die sich langsam zu einem stattlichen Refrain ausbreiten, an Bedeutung; die unverschämte Eingängigkeit von "Elephant" bohrt sich Stück für Stück zwischen die Synapsen; die Malen-nach-Zahlen-Melancholie von "Out from the cold" wärmt plötzlich besser als selbstgebrannter Fusel die Januar-Kälte weg mit kleinen Gitarrenlicks, die gesucht und gefunden werden müssen.
Was der Kritiker auch sagen mag: seine Meinung ist kein unumstößlicher Monolith. Wenn Canterbury ein Album veröffentlichen, das maßgeblich von seiner Entdeckung lebt, von Großtaten im Kleinen, die sich zwischen Beliebigkeit und europäischer Radiotauglichkeit verbergen, dabei aber weder Hipster noch Audiophilen aus den Schuhen heben, kann der Rezensent guten Gewissens eine 7/10 vergeben und seine wohlmeinende Empfehlung aussprechen. Auch wenn es in den Augen seiner LeserInnen heißen wird, er sei der "einzige unmusikalische Mensch im Haus", um noch einmal Kreisler zu zitieren.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Keep it moving
- Hold your own
- Elephant
Tracklist
- Expensive imitation
- Keep it moving
- All my life
- Satellite
- Hold your own
- Think it over
- By the trail
- Elephant
- Run from a gun
- Out from the cold
- Going nowhere
Referenzen
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