Bitume - Zeichen

Rookie / Cargo
VÖ: 24.01.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Auf das Leben

Der Unverwüstliche, der Unkaputtbare, das Stehaufmännchen aller Stehaufmännchen. Na, wer ist wohl gemeint? Er lauert irgendwo in der gesunden Mitte. Zwischen Schredder-Gitarren hat er sich versteckt, die Radau machen wie der große Bohrer beim Zahnarzt. Aber selbst hinter einem Schlagzeug ist er noch zu vernehmen, das bollert wie ein Feuerwerk in einer Munitionsfabrik. Und er erscheint unerwartet – und dann wiederum auch nicht. Jedenfalls: Die Punk- und Magenband Bitume biegt gerade in die Schlussakkorde ihres neuen Songs "Maulhelden" ein, da steht er, überlebensgroß, eine Leinwandikone in XXL: Rocky Balboa. "Es kommt im Leben nicht darauf an, wie viel Du austeilst, sondern darauf, wie viel Du einstecken kannst", sagt er. Dann ist er weg. Schwer vorstellbar, dass der kurze Cameo-Auftritt in Form eines Samples auf dieser Platte nur ein Zufall ist. Denn mehr eingesteckt als ausgeteilt hatten Bitume vorher schließlich selbst.

Oldenburg, 2014. Der ortsansässige VfB Oldenburg, früher zu Kanzler Kohls Zeiten mal stolzer Zweitligist, ist in die Oberliga abgeschmiert. Vor den Toren der Stadt gibt es seit Jahrzehnten eine Wagenburg als alternative Wohngemeinschaft, die demnächst verlegt werden soll. Hier lebt es sich und stirbt es sich – und so richtig Großstadt geht dann irgendwie anders. Hier sind Bitume daheim, hier musste, ja konnte ihre neue Platte "Zeichen" wachsen, gedeihen, entstehen – es ist ihre mittlerweile fünfte. Auch auf "Zeichen" tackern Bitume Momentaufnahmen und Alltagspolaroids fest, verdichten sie zu sperrigen Punksongs mit melodischer Schlagseite, brechen gerne ins Selbstironische aus - und machen auch gerne mal Tempo, wo doch das Leben um sie herum schon im Schneckentempo vor sich hinkriecht. Etwa in der Nummer "Raus hier! Die Bude brennt!", die am Ende auch Wile E. Coyote nicht mehr einfangen könnte, bevor sie über alle Berge ist.

Aber: Meist machen Bitume auf "Zeichen" anders. Wenn sie in "Auf dem Weg ans Meer" ihre Schnute verziehen, ihre Griffe in Moll einlegen und losmarschieren, müssen sie das Kaff gar nicht erst beim Namen nennen, das sie je nach Interpretationswunsch innerlich verlassen oder ja doch irgendwie hasslieben gelernt haben. Vielleicht sind es gerade die kleinen Orte, die große Leute machen. Vielleicht sind es auch einfach nur die meist schön schnoddrig gespielten Punksongs, die "Zeichen" meist hörenswert machen. Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang. Kein Bullshit. Und zusammen basisdemokratisch organisiert wie eine Vierer-WG unter guten Kumpels. Der Song "31 Bier Richtung Kleinensiel" ist ein Kleinod in Schussweite zu der Schnittstelle, an der Pascow, EA80 und Boxhamsters keine Berührungsangst mehr haben. Sie alle versammeln sich auf einem Album, das so latent aggressiv ist wie eine Faust, die man nur für sich in der Tasche ballt. Auch wenn Hollywood es anders sagt: Wenn Bitume mehr ausgeteilt als eingesteckt hätten, wäre "Zeichen" mehr als nur gut – und vielleicht ja größer als Rocky Balboa.

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Santiago
  • Auf dem Weg ans Meer

Tracklist

  1. Zeichen
  2. Santiago
  3. Kein Heldenkostüm
  4. 31 Bier Richtung Kleinensiel
  5. Legenden
  6. Maulhelden
  7. Keine schöne neue Zeit
  8. Großbrand in OL
  9. Winter
  10. Elsflether Land
  11. Raus hier! Die Bude brennt!
  12. Der gefallene Wortwitz
  13. Der Weg ans Meer
Gesamtspielzeit: 40:54 min

Im Forum kommentieren

Michael

2014-01-13 17:25:04

Musik ist nicht so meins, aber ich danke für die schönen (wenn auch etwas zu pessimistischen) Oldenburg-Zeilen in der Rezension. :)

Armin

2014-01-12 21:14:06

Wir testen jetzt mal was und eröffnen zu ein paar frisch rezensierten Alben einen neuen Thread, wenn es noch keinen gibt. Hier könnt Ihr Euch über dieses Album austauschen.

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