Keane - The best of
Island / UniversalVÖ: 08.11.2013
Alle Tassen im Schrank
Was Cherry Keane wohl zu dieser Veröffentlichung gesagt hätte? Die sympathische ältere Dame half in der Teeküche der Tonbridge School, einem 1553 gegründeten, altehrwürdigen Jungen-Internat im englischen Kent. Bedauerlicherweise hat sie bereits vor mehr als 15 Jahren den (Tee-)Löffel abgegeben, aber dennoch bis heute Spuren hinterlassen: Dank ihrer Liebenswürdigkeit wurde sie Namenspatin für die 1997 formierte Band der Tonbridge-Absolventen Tom Chaplin, Tim Rice-Oxley und Richard Hughes. Deren 2004 erschienenes Debüt "Hopes and fears" konnte man ungefähr so schwer ablehnen wie eine Einladung zum Tee, also eigentlich überhaupt nicht, denn dafür war der melancholisch-melodiöse Piano-Pop des Trios entschieden zu nett. Genau wie Mrs. Keane. Das hochgradig hymnische "Somewhere only we know", aktuell von Lily Allen für einen Werbespot wieder aufgewärmt, trug eine Menge dazu bei, dass "Hopes and fears" dieses Jahr von den BBC-2-Hörern zum zweitbesten Album aller Zeiten gewählt wurde. Und auch wenn diese Zuneigungsbekundung nicht nur im Nachhinein etwas übertrieben wirkt, kann man Keane ihr Händchen für memorable Melodien nun wirklich nicht absprechen.
Was es im Laufe der Jahre bedeuten sollte, sich nach jemandem benannt zu haben, der nur mit Wasser gekocht hat, ist nun in chronologischer Reihenfolge und 20 Aufgüssen nachvollziehbar: Fünf Songs von "Hopes and fears", ganze sieben von "Under the iron sea", nur zwei aus der "Perfect symmetry"-Ära, ein Stück von der 8-Track-EP "Night train", immerhin drei vom letzten Studiowerk "Strangeland" und zwei neue Lieder, darunter die redlich bemühte aktuelle Single "Higher than the sun". Es bleiben noch 19 Sekunden ungenutzte CD-Spielzeit. Um es mit einer Tee-Metapher zu sagen: Zu langes Ziehen kann unter Umständen einen etwas bitteren Beigeschmack verursachen. Und wir haben hier Umstände – nämlich jene, dass das kreative Schaffen von Keane gelegentlich einen ganz schön gebeutelten Eindruck machte. Etwa bei dem unangenehmen Plastik-Pop von "Is it any wonder?" oder bei der Halli-Galli-Nummer "Spiralling", die von den Lesern des "Q"-Magazines auch noch zum "Song des Jahres 2008" gekürt wurde. Die hatten wohl einen im Tee.
Die chronologische Anordnung der Tracklist ist Fluch und Segen zugleich: Fluch, weil nach den hervorragenden Songs von "Hopes and fears" die Intervalle zwischen den echten Höhepunkten immer größer werden. Segen, weil man nach dem eindrucksvollen Eröffnungsreigen so manchen Durchhänger verzeihen kann. Zumal Keane jederzeit der unbedingte Wille zur Weiterentwicklung anzuhören ist, was sie angeblich auch mit ihren großen Vorbildern The Beatles, Radiohead und Blur verbinden soll. Apropos Vorbilder: Dass "Atlantic", erste Single aus dem Zweitwerk "Under the iron sea", nach zweieinhalb Minuten direkt wie aus der Feder von Rufus Wainwright klingt, verwundert kaum noch, wenn man weiß, dass jener kurz vor Entstehung des Songs von der gemeinsamen Plattenfirma mit Keane auf Tour geschickt wurde. Dabei ist es gar nicht mal so, dass die mittlerweile auf ein Quintett angewachsene Band es unbedingt nötig hätte, sich von Kollegen inspirieren zu lassen. Großtaten wie "Everybody's changing", "This is the last time" oder der mit indischem Harmonium und zartem Piano veredelte "Hamburg song" haben sie schließlich auch ganz alleine hingekriegt.
Das Erstaunlichste ist jedoch die Tatsache, dass ausnahmslos jeder Keane-Longplayer die Spitzenposition der UK-Charts erreicht hat, aber keine ihrer Singles im Vereinigten Königreich jemals auf Platz 1 kam. Noch nicht einmal auf Platz 2. Mit anderen Worten: Keane sind offensichtlich eine Album-Band. 11 Millionen verkaufte Platten sprechen durchaus dafür. Die Qualität ihres Erstlings "Hopes and fears" auch. Was alle weiteren Studiowerke betrifft, bietet "The best of" dem Nicht-Kenner einen guten, repräsentativen Überblick. Wem das noch nicht reichen sollte, der findet in der limitierten Edition eine weitere CD mit ihren schönsten B-Seiten. Interessant: Nachdem die Chartplatzierungen der Keane-Singles kontinuierlich nach unten wanderten, wurde ab "Strangeland" auch Chaplins Stimme deutlich tiefer. Während man sich bei dem hübschen "Silenced by the night" eher noch über die plötzliche musikalische Verwandtschaft mit The Killers wundert, ist Chaplin bei "Disconnected" kaum noch wiederzuerkennen. Passend zu besagtem Songtitel gehen Keane nach der Veröffentlichung der Compilation vorerst getrennte Wege. Wohin das führen wird? Somewhere only they know. Es bleibt also nur: Abwarten. Und Tee trinken.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Everybody's changing
- Somewhere only we know
- This is the last time
- Hamburg song
- Silenced by the night
Tracklist
- Everybody's changing
- Somewhere only we know
- Bend and break
- Bedshaped
- This is the last time
- Atlantic
- Is it any wonder?
- Nothing in my way
- Hamburg song
- Crystal ball
- A bad dream
- Try again
- Spiralling
- Perfect symmetry
- My shadow
- Silenced by the night
- Disconnected
- Sovereign Light Café
- Higher than the sun
- Won't be broken
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