
Emily Jane White - Blood / lines
Talitres / Rough TradeVÖ: 01.11.2013
Ein Wachtraum
Normalerweise kennt man es ja so: Emily Jane White unter einem undurchsichtigen Schleier, Emily Jane White im Unterholz, Emily Jane White inmitten einer unheilvoll glühenden Lichtung. Artworks, die ihre melancholische, mit Torch-Song, Düster-Folk und der Schattenseite des amerikanischen Traums liebäugelnde Musik vorzüglich widerspiegelten. Wenn das Cover ihres vierten Albums White nun zur Abwechslung vor hellem Hintergrund zeigt, dann also vermutlich nur, weil sie in ihrem schwarzen Kleid ansonsten gänzlich mit der Dunkelheit verschmelzen würde. An der zauberhaften Schwermut von "Blood / lines" ändert diese visuelle Variation aber selbstverständlich nichts. Wie bereits auf "Victorian America" und "Ode to sentience" bedient die Kalifornierin ihre Instrumente geradezu traumwandlerisch souverän und besingt anmutige Mannsbilder und Frauenfiguren genauso eindringlich wie unberührte Landschaften und allerlei Getier.
Ihrer Natur kann die Singer-Songwriterin nun einmal ebensowenig entfliehen wie der Abstammung im Albumtitel. Versucht sie dann auch gar nicht erst: "My beloved" beschwört die Liebe mit leicht schroffen Riffs, die zuweilen wie ein rostiges Metronom an der Oberfläche kratzen – als würde White jede Gefühlsregung gleichzeitig preisen und argwöhnisch beäugen. In ihrer Spielart von Americana schwingt nämlich immer wieder auch eine Ahnung drohenden Unheils mit. Oft liegt eine ungreifbare Trauer über den schummrig befunzelten Songs, die wie wie im Wechsel der Jahreszeiten aufbegehren und wieder vergehen, während entrückte Twangs und diesige Keyboard-Wolken aus ihnen emporsteigen. "Keeley" könnte dann glatt in eine surreale "Twin Peaks"-Klitsche inklusive rotem Samt und schmeichelnder Julee Cruise entführen, wogegen sich die gravitätische Totenwache "Wake" plötzlich zum lebensmüden Walzer-Taumel verpuppt – und spätestens da ist ein Begriff wie Folk zu kurz gedacht.
Und man muss White lassen: Der Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet, steht ihr gut. Auch wenn sie ihm – ähnlich wie im betörenden "Faster than the devil" dem Leibhaftigen – stets ein Schnippchen schlägt. Der rote Faden ist dabei nicht nur auf dem Cover zu erkennen: Nicht zuletzt dank Whites zwischen Wachtraum und Beschwörung oszillierenden Gesangs und der behutsam-eindringlichen Arrangements zieht er sich vielmehr durch diese ganze Dreiviertelstunde voll aufgerauter akustischer Miniaturen, körperloser Dream-Pop-Anflüge und wabernder Soundschwaden. Überflüssig zu erwähnen, dass gerade Songs wie das glockenklare "Thoroughbred" oder "Dandelion daze" von naiver Pferdemädchenromantik ähnlich weit entfernt sind wie PJ Harvey von einem Job als Hüterin der britischen Kronjuwelen. White macht zwar weniger Ärger als Letztere – aber mindestens genauso wundervolle Musik. Die Aussichten: dunkel bis duster, doch hinter dem geschlossenen Vorhang strahlt das Licht umso heller.
Highlights & Tracklist
Highlights
- My beloved
- Faster than the devil
- Thoroughbred
Tracklist
- My beloved
- Faster than the devil
- Keeley
- Thoroughbred
- Wake
- Dandelion daze
- Holiday song
- The roses
- The wolves
Referenzen
Spotify
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