
Russian Circles - Memorial
Sargent House / CargoVÖ: 01.11.2013
n+1
Alles ist eins. Das könnte als Motto über dem ganzen Postrock-Genre stehen. Alles hängt mit allem zusammen. Deswegen tut sich der Postrock so schwer mit Brüchen, mit Widerhaken, mit Akzenten, die den Fluss stören könnten. Deswegen tut er so selten weh, deswegen sticht er so selten hervor. Weil nie etwas in ihm widerstrebt, weil der Postrock in Balancen denkt, jedes Laut mit Leise, jedes Hart mit Zart am Schluss aufzuwiegen versucht, fehlt ihm der Experimentiergeist, der Mut zum Risiko. Ja eigentlich hat ausgerechnet der Postrock nie von der Postmoderne und ihrem Willen zur Ironie, zum Fragment, zur verqueren Assoziation lernen wollen.
Russian Circles waren da von Beginn an mutiger. Zum einen, weil ihr Verzicht auf Gesang 2006, zum Erscheinen des großartigen "Enter" noch als Vorbild taugte. Der Gesang würde bloß die Identifikation erleichtern. Zum anderen, weil Russian Circles immer den schwülstigen Poesiealben-Pathos zu vermeiden wussten. Auch "Memorial", Album Nummer fünf, gelingt das kleine Wunder, acht Songs ohne Polly-Pocket-Melodie zu überstehen. Russian Circles haben noch Feindbilder (Mono und ihre Disney-Soundtracks zum Beispiel, Alcest und andere Bands, die über Feen singen), ihr Sound grenzt sich ab. Und - hierfür gebührt ihnen größtes Lob - die Songs auf "Memorial" bleiben unvorhersehbar.
Mit "Memorial" bleiben Russian Circles diejenigen, die dem Postrock seine Klischees austreiben: die fragilen Intros, die hingetupften, minimalistischen Gitarrenmelodien, die H&M-Riffs, die früher zu erahnen sind als die Stolperer übers Tigerfell in "Dinner for one". "Memorial" macht manches anders, es spannt weniger auf die Folter als das frühere Output, es ist songdienlicher, gibt sich mit weniger Ideen zufrieden. Sicherlich ist "Memorial" nicht ganz auf Augenhöhe mit den bisherigen Höhepunkten ("Empros"? "Enter"?), aber fünf Alben in Folge auf diesem Niveau? Russian Circles bleiben vorne dabei. Und wer schlussendlich zu einem so herzzerreißend schönen Song wie "Ethel" im Stande ist, hat ohnehin gewonnen. Erinnert sich noch jemand an "Requiem for a dream"? Die letzten zwei Minuten, die brutalen Schnitte, der Geigenbogen an der Kehle, die Gänsehaut, die nicht mehr weg will? Nach "Ethel" ist alles wieder gut. Und die Welt im Gleichgewicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- 1777
- Ethel
Tracklist
- Memoriam
- Deficit
- 1777
- Cheyenne
- Burial
- Ethel
- Lebaron
- Memorial
Im Forum kommentieren
carpi
2015-02-17 17:42:15
Freu mich auf das Konzert in Karlsruhe im April zusammen mit Junius, Helms Alee und einigen anderen. Live waren die immer überwältigend. "Memorial" steht bei mir auch noch bei 8/10.
The MACHINA of God
2015-02-17 16:27:26
Viel zu selten gehört. Muss ich mal wieder machen.
Okocha
2013-12-17 22:14:16
Bei mir ist es ähnlich. Nach zunächst anfänglicher Skepsis muss ich doch sagen: es ihr bestes seit Enter. Wahrscheinlich mein Album des Jahres.
Herder
2013-11-21 16:22:26
Die heutige Pitchfork-Rezension kommt eigentlich ziemlich gut hin!
Tolles Album nach wie vor, das sich so heimlich, still und leise (ja, okay, bei Russian Circles eigenlich ein Widerspruch in sich...) in meine Jahresbestenliste schleicht!
Mainstream
2013-11-15 14:15:50
"Ethel" kratzt am Äther, Wahnsinnslied.
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