John Lees' Barclay James Harvest - North
Esoteric Antenna / Cherry Red / Rough TradeVÖ: 11.10.2013
#Neuland
"Das Internet ist für uns alle Neuland" – mit jenem Satz sorgte Kanzlerin Merkel vor einiger Zeit für großes Kopfschütteln innerhalb der jüngeren Gesellschaftsschichten. Was passiert also, wenn die Rock-Opis von John Lees' Barclay James Harvest im Song "In wonderland" die scheinbaren Wunder der modernen Kommunikation in Frage stellen und in einer Bridge "Facebooook, Youtuuube" singen? Vor allen Dingen werden da gruselige Erinnerungen an das Jahr 2012 wach, als ein Pop-Opi – namentlich Ralph Siegel – gemeinsam mit Valentina Monetta aus San Marino den Song "Facebook uh oh oh" für den Eurovision Song Contest einzureichen versuchte. Der große Unterschied aber ist: Die Kritik der Briten schlägt in die richtige Kerbe, ist nicht einfach nur dummdudeliger Singsang, hat tatsächlich ein Stück weit Ahnung vom vermeintlichen Neuland und der funkige Beat des Songs geht ins Ohr.
Als sich Barclay James Harvest in ihrer ursprünglichen Form 1997 auflösten, entsprangen der Gruppe zwei mehr oder weniger gleichnamige Formationen. Auf der einen Seite stehen John Lees’ Barclay James Harvest auf der anderen Barclay James Harvest featuring Les Holroyd. Welche Band nun den tatsächlichen Nachfolgeanspruch der Kultband in Anspruch nehmen darf, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Still geworden war es um John Lees’ Barclay James Harvest seit deren letzten Studioalbum "Nexus" aus dem Jahre 1999 jedenfalls nicht unbedingt, neben vier Live-Alben innerhalb der letzten 14 Jahre, tourten die Musiker um den 66-jährigen John Lees wie die Weltmeister. Mit "North" erscheint nun nach knapp anderthalb Jahrzehnten das zweite Studioalbum der Truppe. Stilistisch orientiert sich die Platte grob an der Tradition früherer Barclay-James-Harvest-Veröffentlichungen, erweitert die Songs aber noch dezent um Folk- und Akustikelemente.
"The real deal" ist ein starker Bluesrocksong mit marschierendem Rhythmus und progig-ausufernden Gitarrensoli. Der begleitende Chor verleiht John Lees' Stimme zusätzliche Tiefe, wenn der Protagonist forsch und gewillt tiefste Täler durchschreitet. Der Titelsong des Langspielers "North" kommt weitaus düsterer daher, hat in seinen gut acht Minuten viel Zeit, sich vom Federleichten ins Tiefschwere auszubauen. Ein schräges Pinao begleitet die Wanderung in Richtung Norden, Geigen unterstreichen die esoterisch-mysteriöse Stimmung des Tracks. Zur Hälfte des Titels übernimmt die Leadgitarre das Ruder und bringt ordentlich Verwirbelung mit sich; mit einem Mal reißt der Himmel auf, Lees singt sich freudvoll dem Horizont entgegen, ehe die Stimmung gen Ende wieder ins Apokalyptische absinkt.
John Lees' Barclay James Harvest schaffen ein knapp einstündiges Konzeptalbum, verteilt auf acht Songs. Der 66-Jährige hat noch immer genug Luft, um einen ausführlichen Tauchgang in die tiefen Sphären des Prog-Rock zu unternehmen. Obgleich "North" in sich durchaus in Ordnung geht, fehlt das hymnische Element, welches Barclay James Harvest einst groß gemacht hat, durchweg. Dies aber sofort am Fehlen von Les Holroyd festzumachen, wäre ein Trugschluss, schließlich machte es dieser auf seinem 2002-Werk "Revolution days" weder besser noch schlechter. Vielleicht liegt es einfach daran, dass doch immer versucht wird, zu erhalten, was einst funktionierte, einen Sound nachzubilden, der vormals so erfolgreich war. Ein wenig Neuland täte da im musikalischen Sinne durchaus gut.
Highlights & Tracklist
Highlights
- In wonderland
- North
Tracklist
- If you were here now
- Ancient waves
- In wonderland
- On leave
- The real deal
- On top of the world
- Unreservedly yours
- North
- The end of the day
Referenzen