Gloria - Gloria

Grönland / Rough Trade
VÖ: 27.09.2013
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Emanzipierten

Eine Gemeinsamkeit haben die Brüder im Geiste, um die sich alles bei Gloria dreht: Sowohl für Sänger Klaas Heufer-Umlauf als auch für den musikalisch verantwortlichen Mark Tavassol ist dieses gemeinsame Projekt ein Schritt der Emanzipation. Für Heufer-Umlauf einer hin zur öffentlichkeitswirksamen Eigenständigkeit, weg vom spaßbegabten doppelten Lottchen mit Formats-Partner Joko Winterscheidt und dem hochstilisierten Image als designiertem Retter des ZDF-Samstagabends. Und Tavassol tritt mit Gloria aus dem langsam verblassenden, temporär im Eis konservierten Schatten der Band, die wohl auch den Weg dieses Albums einst vorzeichnete: Wir Sind Helden. Allesamt Gründe, das Hobbykellerstudio hinter sich zu lassen und mit "Gloria" die erste Eigenproduktion zu präsentieren. Gelohnt hat es sich allemal.

Dabei bringen die beiden ihr Bestes zusammen. Tavassol macht an Gitarre und Bass deutlich, dass er es weiterhin versteht, gefällige Poprock-Melodien zu produzieren. Und Klaas schafft mit ungewohnter Ernsthaftigkeit und zurückgenommener Großstadtmelancholie seine Antithese zum klamaukigen Kasper. So schnalzt im ungemein beruhigten "Gute Nacht, bis morgen" das Schlagzeug über den prominent-brummigen Bass zu Heufer-Umlaufs überraschend markant-tiefem Gesang, und der verschleppte, gedämpfte und herzrhythmusgestörte Beat in "Solange Du mich lässt" mimt gekonnt und einfühlsam das flirrende Abschiedslied im Krankenhausalltag. Gut möglich, dass Heufer-Umlauf dabei tatsächlich aus dem eigenen, schwermütigen Erfahrungsschatz schöpft – ist er doch ein engagierter Verfechter der Organspendeausweis-Kampagne.

Mit "Eigenes Berlin" gelingt den beiden samt Begleitband eine weitere Hymne zur gedankenversunkenen blauen Stunde in der Hauptstadtmetropole, die die Isolation im Auge des rasant-urbanen Sturms thematisiert: "Und weil ich nachts nicht mehr schlafen geh / Schweigst Du mich an, ich schweig zurück / Du bist mein eigenes, eigenes Berlin." Besonders hervorzuheben ist dabei der zweiminütige, instrumentale Mittelteil, der auch unter Zuhilfenahme einer Trompete einen klanglichen Tunnel aufbaut, nur um ihn zur Bebilderung der Einsicht gleich wieder einzureißen. Auch das Enno-Bunger-Cover "Regen" fügt sich gut ins Stimmungsbild des Albums und zeigt, dass hier nichts vom Zaun gebrochen wurde, sondern tatsächlich ein paar Freunde ohne ausgegebenes Ziel den Spaß am gemeinsamen Musizieren gefunden haben. Diese Geschichte funktioniert.

Aber auch wenn Gloria auf ihrem Debütalbum kaum Schwachstellen zulassen, zeigt die andere Hälfte der Stücke durchaus die Grenzen des Projekts auf. Ironischerweise ist es gerade "Zu vage", das exemplarisch offenbart: Zwar sind die meisten Stücke klar und deutlich definiert und zu Ende gedacht, aber sowohl die geringe Variabilität in Heufer-Umlaufs Stimme als auch die zuweilen aufblitzende Eindimensionalität der Texte machen aus diesem Album lediglich einen Achtungserfolg statt einen auf ganzer Linie. Nichtsdestotrotz, was für ein wunderschönes Wort, sichert sich "Gloria" einen Platz neben Bosse, Tommy Finke und Gisbert Zu Knyphausen und reißt damit nicht etwa die Latte der gehegten Erwartungen, sondern überspringt sie schließlich mühelos. Emanzipation gelungen.

(Andreas Menzel)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Warten
  • Eigenes Berlin
  • Solange Du mich lässt

Tracklist

  1. Warten
  2. Gute Nacht, bis morgen
  3. Zu vage
  4. Eigenes Berlin
  5. Regen
  6. Heute Du
  7. Wie sehr wir leuchten
  8. Solange Du mich lässt
  9. Endlich kombinieren
  10. Die Zeit ist um
Gesamtspielzeit: 38:53 min

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