Dream Theater - Dream Theater

Roadrunner / Warner
VÖ: 20.09.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Da capo

Es ist schon erstaunlich: Dass Dream Theater das Prog-Metal-Genre zwar nicht zwingend erfunden, doch zumindest maßgeblich beeinflusst haben, steht selbst bei den größten Skeptikern der Band völlig außer Frage. Dennoch tauchen immer wieder Diskussionen auf, nach denen so manche Kritiker der Band mangelnden Erfindergeist vorwerfen, mehr noch: Von Stagnation ist die Rede, von Selbstbedienung im eigenen Back-Katalog. Zuletzt 2011 bei "A dramatic turn of events", welches einen Neuanfang nach dem mehr oder weniger freiwilligen Abgang von Schlagzeuger und Bandgründer Mike Portnoy markierte – was die einen als Abkehr von der bis dahin arg dominant gewordenen Thrash-Schlagseite deuteten, war für andere der nur bedingt erfolgreiche Versuch, an die großen Werke der neunziger Jahre, namentlich "Images and words" und "Awake" anzuknüpfen. Die Kernfrage ist also: Darf sich eine Prog-Band auf ihre bekannten Stärken besinnen oder ist Erfindergeist und Experimentierdenken um jeden Preis gefordert?

Die New Yorker geben darauf ihre ganz eigene Antwort. Denn nach dem mit orchestralem Bombast eröffnenden "False awakening suite" folgt mit "The enemy inside" ein Prog-Metal-Gewitter, wie es so eben nur Dream Theater beherrschen. Es dauert mehr als eine Minute, bis Sänger James LaBrie zu nur auf den ersten Blick geradeaus rockenden, bei genauerem Hinhören aber wunderbar vertrackten Riffs die Arme ausbreiten darf. Ein Ohrwurm-Refrain par excellence, dazu die gewohnt wahnwitzigen Keyboard-Frickeleien von Jordan Rudess – das ist schlicht große Klasse. Und spätestens nach dem zweiten Durchlauf wird darüber hinaus klar, dass Drummer Mike Mangini, der erstmals selbst am Songwriting beteiligt war, die großen Fußstapfen seines Vorgängers Portnoy ohne weiteres ausfüllt. Im Gegenteil: War Portnoy die wild prügelnde Rampensau, die sich Dank heftig kickender Bassdrum in den Vordergrund drängte, klingt Manginis Spiel vordergründig unaufgeregt. Zumindest bis man versucht, die komplett abgefahren Fills zu sortieren, ohne sich das Hirn zu verknoten.

Wem das immer noch nicht reicht, der darf dann erleben, wie die Band beim Instrumental "Enigma machine" komplett ausflippt. Ja, das ist Gefrickel hart am Rand der Instrumentalmasturbation. Und trotzdem schaffen es Dream Theater damit, auch langjährigen Hörern den Unterkiefer in Richtung Fußboden zu schicken, frei nach dem Motto "Schaut her, wir haben unsere Spielfreude noch lange nicht verloren." Einzig das balladeske "The bigger picture" weiß nicht durchgängig zu überzeugen, sondern wirkt im Spannungsfeld aus Schwermut und Pop-Appeal bisweilen unentschlossen. Das alles ist zunächst mit dem feinen Frickelpart in "Surrender to reason", spätestens jedoch mit dem monumentalen Abschluss "Illumination theory" vergessen. Erster Eindruck nach dessen 22 Minuten: Ratlosigkeit. Doch irgendwann werden die Strukturen verständlich, kann der komplette Wahnwitz wirken. Auch wenn die legendären Longtracks der Bandhistorie wie "A change of seasons" oder "Six degrees of inner turbulence" nicht erreicht werden, ist "Illumination theory" doch die Essenz der Dream Theater des Jahres 2013 - schlicht Progressive Metal vom allerfeinsten.

Und doch wird "Dream Theater" trotz seiner Klasse umstritten bleiben. Denn künstlerische Weiterentwicklung, das Durchbrechen von Grenzen, wie es ja progressive Musik per definitionem anstrebt, findet in der Tat nur in homöopathischen Dosen statt. Nur: Wenn man fair bleibt, konnte das Ziel für Dream Theater nach den Verwerfungen nach dem Abgang Mike Portnoys nur Stabilisierung bedeuten. Und das ist den New Yorkern zweifellos eindrucksvoll gelungen. Nicht nur, dass Mike Mangini wie erwähnt Portnoy mehr als nur adäquat an den Drums ersetzen konnte, auch in Sachen Songwriting wird mehr noch als beim Vorgänger "A dramatic turn of events" klar, welche Spannungen in der Band bezüglich der stilistischen Ausrichtigung geherrscht haben müssen. Der Neuanfang, und dafür steht bekanntermaßen der Verzicht auf einen "richtigen" Albumtitel, ist zumindest gemacht. Im Zukunft dürfen Dream Theater dann auch gerne wieder zu neuen Ufern aufbrechen.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The enemy inside
  • Enigma machine
  • Illumination theory

Tracklist

  1. False awakening suite
  2. The enemy inside
  3. The looking glass
  4. Enigma machine
  5. The bigger picture
  6. Behind the veil
  7. Surrender to reason
  8. Along for the ride
  9. Illumination theory
Gesamtspielzeit: 68:01 min

Im Forum kommentieren

Ein Fall von

2013-10-01 11:22:33

…respektiere ich aus musikalischer Sicht sehr, die Jungs sind Könner aber bevor ich mir auch nur 20 Sekunden davon freiwillig anhöre, fahre ich lieber mit dem Auto in die Schrottpresse und bleibe sitzen.

Ich liebe Metal und auch die jeweils eigenwilligen Stimmen aka Eunuchen Gekeife aber James LaBrie ist auch für mich zu viel. Unerträglich. Schade.

Auch schön:

2013-09-28 15:33:50

Mit diesem Album belegen Dream Theater eindrucksvoll ihren Status als unnötigste Band der Welt.

Hunni

2013-09-28 15:03:58

Mit diesem Album belegen Dream Theater eindrucksvoll ihre fehlende Existenzberechtigung.

Georgina

2013-09-28 14:42:24

Besser als alles, was Radiohead je veröffentlicht haben. Ganz ganz starke Mucker-Scheibe auf höchstem Niveau. Nennt es Altherren-Prog, ich nenn es Wahnsinn. 10/10

nörtz

2013-09-27 23:37:09

Dream Theater! Was konnte man erwarten! Mit dem Vorgänger "A dramatic Turn of Events" hatten die Jungs mal eben das beste Album ihrer Karriere vorgelegt. Sogar mit einigem Abstand, wie einige behaupteten. Wie dem folgen?

Aus dieser Rezi!

Kann dem überhaupt nicht zustimmen...

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