Bill Callahan - Dream river
Drag City / Rough TradeVÖ: 20.09.2013
In seiner Natur
Bei Bill Callahan ist alles im Fluss. Auf seinem Referenzwerk "A river ain't too much to love" sowieso, aber auch auf allen Alben, die er seit 2007 unter bürgerlichem Namen veröffentlicht hat. Wie schon beim Vorgänger "Apocalypse" ziert eine impressionistische Landschaftsmalerei das Cover von "Dream river", das Video zu "Small plane" zeigt den Wahltexaner mit der Akustischen im Grünen, umgeben von allerlei lustigem Getier und offensichtlich mit sich selbst und seiner Umwelt im Reinen. So sehr, dass er sogar vorab Dub-Versionen von zwei neuen Songs auf einer Maxi veröffentlicht hat – sowohl Fingerübung als auch ein Hinweis darauf, dass Callahan längst nicht mehr der gestrenge Songskulpteur ist, der seine Lieder mit annähernd religiösem Ernst inszeniert. Eine neue Leichtigkeit, die man sich allerdings nur erlauben kann, wenn alles sitzt. Und das tut es.
Auch Callahan sitzt: an einer Hotelbar, wo er im Opener "The sing" mit den Worten "The only things I said today are 'beer' and 'thank you'" seinen Tag Revue passieren lässt. Schöntrinken muss man sich "Dream river" jedoch nicht – alles kommt wie von selbst. Wie in Zeitlupe scharen sich Flöte, Geige und federnde Percussions um den lakonischen Bariton und um mal singende, mal behutsam kreisende Gitarrenfiguren mit spartanischen Leads. Handgeklöppelte Rhythmen und Congas ersetzen herkömmliches Schlagzeug, die teils angejazzten Spitzfindigkeiten früherer Alben und spröden LoFi-Sarkasmen seiner ersten Inkarnation (Smog) sind inzwischen einer fast pittoresken Wärme im Sound gewichen. Da verbieten sich Unversöhnliches oder ätzende Heimatschelte wie zuletzt im grob gestrickten "America!" beinahe von selbst.
Stattdessen fühlt sich Callahan hörbar wohl in seiner Natur, fliegt mit einer kleinen Maschine über Baumwipfel, nimmt Zuggeräusche als Walgesänge wahr und sieht den Bibern zu, die beim Dammbau schließlich auch nur ihren Job machen. Bei diesen liebevollen Betrachtungen verwundert es nicht, dass "Dream river" so gut wie nichts mehr von einer Rockplatte hat – vielmehr fungieren die rhythmischen Feinheiten als schwereloses Metronom der Riffschlaufen von "Spring" und führt das köstlich swingende "Javelin unlanding" eine Art ätherische Funkiness ein, bei der die Pickings leichtfüßig durch den Song tänzeln. Und man hört förmlich Callahans Grinsen, wenn er als Meister der Kontraste und sprachlichen Antithesen sonor säuselt: "You looked like worldwide Armageddon while you slept / You looked so peaceful it scared me." Was für eine Liebeserklärung.
Da wackelt selbst Callahans Teilzeit-Mitmusiker Jonathan Meiburg, ebenfalls ausgewiesener Naturbursche, anerkennend mit den Augenbrauen und schickt seinen Percussionisten Thor Harris vorbei, wenn er sich aufgrund seiner Aktivitäten mit Shearwater schon nicht selbst um die Wurlitzer-Einlassungen im hypnotischen "Ride my arrow" kümmern kann. Nur vereinzelt branden lautere Momente auf, die jedoch schon bald zu kontemplativer Stille zusammensacken – vor allem in der behutsamen Rückschau "Summer painter", dessen Protagonist meilenweit vom lüstern auf Frauenhintern lugenden "freelance fence painter" aus dem weithin unterschätzten "Rain on lens"-Highlight "Song" entfernt ist. Callahan jedoch ist ganz bei sich – auf einem meist schlichten und bescheidenen, aber dennoch großen Album.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The sing
- Javelin unlanding
- Spring
Tracklist
- The sing
- Javelin unlanding
- Small plane
- Spring
- Ride my arrow
- Summer painter
- Seagull
- Winter road
Im Forum kommentieren
kingsuede
2019-05-12 00:22:49
Das Album läuft auch einmal wieder im Relistening. Es bleibt wohl mein Liebling unter seinem eigenen Namen, und Javelin unlanding ist einer seiner besten Songs.
saihttam
2015-02-17 02:10:49
wundervolles Album! Seine Stimme hat schon etwas besonderes. Muss mich jetzt mal langsam in seinem Schaffen zu den alten Sachen vorarbeiten.
Rote Arme Fraktion
2014-02-10 19:11:41
hab´s mir bei wow hd bestellt, zusammen mit Beck - Morning Phase für 16 €. Hatte vorher kurz über die Amazon-Schnipsel reingehört und es klingt sehr interessant.
sugar ray robinson
2014-01-28 11:24:45
Ich kanns wirklich nur empfehlen, ist eingängig und die besten Momente sind toll herausgearbeitet. Von der Stimme hört man genug. Sehr laid back insgesamt.
Quirm
2014-01-28 08:24:11
Ja, großartiges Album. Bin am überlegen ob ich nicht doch noch zum Konzert am 14.02. nach Köln in die Kulturkirche fahr.
@sugar ray: Sind die Dub-Versionen wirklich zu empfehlen? Bin da noch ein bisschen unschlüssig. :)
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