Alligatoah - Triebwerke

Trailerpark / Groove Attack
VÖ: 02.08.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Voll am Arsch

Größenwahn ist im Rap-Geschäft ja nun nichts Neues: Wer etwas auf sich hält, erzählt am liebsten von sich selbst, hat natürlich den Längsten und kann generell alles. Um es mal darauf herunterzubrechen. Alligatoah hebt das Ganze aber irgendwie noch mal auf ein neues Level, in jeder Hinsicht. "Ich habe neulich im Affekt Medizin studiert." Da ist zunächst einmal die Band, ja: Band, Alligatoah, bestehend aus Rapper Kaliba69 auf der einen und Produzent DJ Deagle auf der anderen Seite. Die beiden sind nur mysteriöserweise ein und dieselbe Person, nämlich der Wahl-Berliner Lukas Strobel, der sich für dieses eine Projekt gleich zwei Alter Egos zugelegt hat. Doch damit nicht genug, die Vokalisten-Hälfte scheint direkt noch mal mit multipler Persönlichkeit ausgestattet zu sein: Da wechseln sich Doubletime-Raps mit herzzerreißendem Falsett-Gesang ab, und es bleibt festzustellen: Alligatoah kann nicht nur mit Worten und Beats, sondern vor allem auch mit seiner Stimme verdammt gut umgehen.

Das dritte Alligatoah-Album "Triebwerke" besteht quasi nur aus Disstracks, hier erreicht der Größenwahn aber endgültig seinen Höhepunkt. Denn während der gemeine Battlerapper zumindest die Rolle des Gedissten immer Anderen zu überlassen pflegt, lässt sich Alligatoah nicht mal in diesem Punkt reinpfuschen und disst grundsätzlich sich selbst. Klingt komisch, ist aber der eigentliche Geniestreich. Statt vom vermeintlich hohen Ross gegen andere zu wettern, schlüpft Strobel in verschiedenste Rollen und macht sich sehr effektiv in Ich-Perspektive über alles und jeden lustig. Dabei stehen seine Charaktere meist prototypisch für größere Personengruppen oder gleich die ganze Menschheit – kaum jemand, der sein Fett nicht wegbekommt. Strobel selbst nimmt sich derweil am wenigsten ernst, jede einzelne Zeile ist dermaßen überzogen, dass sie eigentlich kein denkender Mensch für bare Münze nehmen dürfte. Dennoch: "Triebwerke" geht es ein wenig sanfter an als beispielsweise das letzte Trailerpark-Album "Crackstreet Boys 2", dem Alligatoah als Label-Neuling ebenfalls seine Stimme lieh. Gute Entscheidung? Besagte Platte steht inzwischen auf dem Index.

Musikalisch geht es auf "Triebwerke" nicht nur gemäßigter zu als bei Trailerpark, nein, Strobel kann richtig was – gute Ohrwürmer garantiert. Doch obwohl an seiner Produktion absolut nichts auszusetzen ist, bleiben vor allem die Texte im Gedächtnis. Häufig spielen Frauen da eine zentrale Rolle: "Was blind, ich bin geistig behindert vor Liebe!", heißt es in der etwas verstörenden Lovestory von "Wer weiß", bevor "Narben" erzählt, wie einfach es sein kann, geliebt zu werden. "Willst du sie haben / Dann brauchst Du Narben." Probiere Dich also in allen erdenklichen Jobs von Gespensterjäger bis Empfangsdamencaster aus, nur um's mal gemacht zu haben. Scheitern geht schon klar, denn "verletzte Kinder kriegen eher Schokolade". Wenn's dann geklappt hat mit der Frau, muss aber auch irgendwann wieder Schluss sein. "Hat man alle GTA-Missionen durch / Kann man die DVD auch wegschmeißen." Ja, in "Erntedank" geht es irgendwie ums Schlussmachen, aber so böse will Alligatoah das nicht darstellen – "Verlassen ist ein hartes Wort / Wie Pimmelgesicht."

Das Prinz-Pi-Feature hier ist leider kein Oberknaller, und auch Lisa Toh, die in den drei Episoden von "Münchhausen" die Hook trällert, passt nur bedingt ins Gesamtwerk. Generell hätte Strobel diese Trilogie lieber zu einem Track zusammenfassen sollen, auch wenn seine Lügengeschichten bestimmt gut ankommen bei den Frauen: "Ich kenn mich aus mit Espressonismus und allem / Es ist noch kein Inkasso vom Himmel gefallen", weiß der Maler Alligatoah und macht sich als Gitarrist und Terrorist ähnlich überzeugend. Der Protagonist in "Fick ihn doch" hat dagegen Eifersuchtsprobleme und führt sein eigenes Stalkerdasein ad absurdum: "Bist du alleine im Zoo / Bin ich verkleidet als Cro." Und apropos Cro: Wer dessen Video zu "Du" in Alligatoahs Clip zu "Willst Du" wiederentdeckt, darf sich selbst überlegen, inwieweit da Respekt vor künstlerischem Schaffen zur Motivation gedient hat. Ein herzhaftes "Fick ihn doch" über dicker E-Gitarre ist wahrscheinlich eine dem Umfeld angemessene Reaktion. Wer es lieber akustisch mag, sollte zur Premium-Edition von "Triebwerke" greifen und sich die beiliegende Bonus-Platte "Stromausfall" zu Gemüte führen, die in einer herrlichen A-Capella-Version von "Amnesie" gipfelt. Klingt alles etwas wild? "ROBBEN SCHLACHTEN! / Humor ist trotzdem lachen."

(Konrad Spremberg)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wer weiß
  • Fick ihn doch
  • Rabenväter (feat. BattleBoi Basti)

Tracklist

  1. Hört, hört (Intro)
  2. Wer weiß
  3. Narben
  4. Münchhausen I
  5. Willst Du
  6. Fick ihn doch
  7. Wunderschöne Frau (feat. Shneezin 257 & Timi Hendrix)
  8. Amnesie
  9. Münchhausen II
  10. Prostitution
  11. Rabenväter (feat. BattleBoi Basti)
  12. Erntedank (feat. Prinz Pi)
  13. Münchhausen III
  14. Trauerfeier Lied
Gesamtspielzeit: 47:04 min

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