Helge Schneider - Sommer, Sonne, Kaktus!

We Love Music / Universal
VÖ: 09.08.2013
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Kommando Sonnenmilch

Digital ist scheiße. Seit Jahrzehnten schon führt ein Mann einen verdeckten Guerilla-Krieg gegen die moderne Technik. Raffiniert ist seine Taktik, krachend wie eine Jalapeño-Schote auf einem Hauch von Omas bestem Vanillepudding. Die Musik auf den Platten dieses Mannes ist meist so handgemacht wie die Zoten während der Liveshows, mit denen er sein Publikum bei der Stange hält. Seine TV-Shows lässt er schon mal nach zwei Ausgaben auslaufen, insgeheim vermutlich damit niemand sie irgendwann auf Blu-Ray gestaffelt zweitvermarktet. Die Laien-Darsteller in seinen Kinofilmen drehen nicht nur gerne am Rad, sondern bei Anruf an untertellergroßen Telefonwählscheiben, die eigentlich ein Ernstfall fürs Telefon-Museum sind. Im TV stellt dieser Mann schon mal Urlaubsvideos vor, stilecht von Super 8. Der Mann heißt Helge Schneider und kommt aus Mühlheim an der Ruhr. Ginge es nach ihm, seine Platte "Sommer, Sonne, Kaktus" würde wahrscheinlich exklusiv auf Vinyl erscheinen – oder Audiokassette. Es dauert keinen Song, bis Schneider wieder aus der Reihe tanzt wie ein pinkfarbener Second-Hand-Smoking, der sich auf ein Staatsbegräbnis erster Klasse geschlichen hat.

Helge Schneider hat Zeit. In "Sommer, Sonne, Kaktus", dem ersten Single-Hit des Alles-Instrumentalisten seit "Käsebrot" von 2006, krault er seinen weiß gewordenen Zwölf-Tage-Bart, dudelt Unverbindliches auf Gitarre, spielt Bongos dazu und schlüpft in eine der kauzigen Rollen, die er sich seit jeher auf den Leib schreibt. Dann singt er, wie nur Helge Schneider singt: Kurz und spack, mit Schlagseite zum Schüttelreim und Denglisch – Diagnose: völlig gaga by kompletter Absicht. Von Sommersonne knödelt er, die ihm das Fell verbrennt. Von flotten Miezen um ihn rum. Vom "beautiful girl", das ihm "aufm Schoß" rumrutscht – und ganz wuschig macht. Es sind Sommermärchen, die Schneider bald auf Schneider-Art zerbröselt. Kaum ist er durch Dreiviertel der Nummer durch, da macht er aus Indikativ Konjunktiv, singt: "Na, na, na, na / Illusion!" Breakt, klärt auf und outet sich: Als einen, der das alles bloß tagträumt. Einen, der gar nicht am Strand sitzt, sondern im Hallenbad Duisburg rumgammelt. Und dessen "beautiful girl aufm Schoß" gar kein Boxenluder mit Apfelpopo ist – sondern eine rüstige Fregatte mir Orangenhaut. "Na, na, na, na / Illusion!" Ein Sommerhit à la Schneider: so kurios und im Ruhrpott-Alltag verwurzelt, dass er mit Currywurst und einem Pilsken ausgeliefert werden müsste. Oder für Uneingeweihte: mit Übersetzungstabelle. Und Bedienungsanleitung.

Ausgedacht hat sich das Helge Schneider, wie könnte es anders sein, während seiner Groundhopping-Tourneen zwischen Ruhrgebiet und Spanien. Der Pott ist sein Revier. In Spanien hat Schneider ein Haus, das von Kakteen umzingelt ist wie das Trainingsgelände vom FC Bayern München derzeit von windigen Revolverblatt-Journalisten. Dort, in Spanien, drehte Schneider zuletzt seinen zweiten "00 Schneider"-Kinofilm, ganz ohne neumodischen 3D-Quatsch, natürlich. Einen Film, für den er selbst die Musik schrieb. Eines (Kakteen) kam zum Anderen (Musik). Und so schob Schneider irgendwo sein Album "Sommer, Sonne, Kaktus!" dazwischen. Es ist geprägt von südländischen Gitarren, von Flötentönen, von Jazz – und von einem Bühnenveteranen, der keine zwei Sekunden ohne das alles kann. Schneider spielt Flöte, Akkordeon, Gitarre, Bongo, Fill-Ins; fast alles selbst. Und beschwört den kühlen Wind, der ihm in ein "Offenes Hemd" bläst.

Der meiste Rest auf "Sommer, Sonne, Kaktus!" ist bemerkenswert verhaltensunauffällig. Selbst an Schneider-Maßstäben gemessen – einem Mann, der bei seinen ersten Auftritten im Öffentlich-Rechtlichen schon mal auf Bademantel, Sonnenbrille und Badelatschen vertraute, um eine erste Duftmarke zu setzen. Die Nummer "Nachtigal, huh (Es zittert unser Haus, was ist nur draußen los?)" mag auf Schneiders Papier noch wie eine prima Verulkung des "Gangnam style" ausgesehen haben, auf Platte dengelt sie endlos vor sich hin und kommt, Verzeihung, nie so recht zu Potte. Bei den vielen Jazzeinlagen schwingt neben Saxophon-Tönen und Hammond-Einlagen immer auch ein wenig die Routine des erfahrenen Entertainers mit. Und die Coverversionen, etwa von George Gershwins "It ain't necessarily so“ und Jeff Walkers "Mr. Bojangles", sind eh was für Alles-Haben-Müsser. Aber die Platte ist angenehm analog und ohne die Sinne betäubende Spezialeffekte gespielt, die schlichte Unterhaltung zu Plastik-Events aufblasen wie Silikon die gefaketen Brüste eines Supermodels. Apropos: Wir sehen uns dann im Oktober im Kino, Helge.

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sommer, Sonne, Kaktus

Tracklist

  1. Sommer, Sonne, Kaktus!
  2. Nachtigall, huh (Es zittert unser Haus, was ist nur draußen los?)
  3. Offenes Hemd
  4. Mr. Bojangles
  5. To be a man
  6. Somewhere over the rainbow
  7. With love in my finger
  8. Drinking blues
  9. Love for sale
  10. To be a man
  11. Catwalk Melodie
  12. Scrubble di bubble
  13. I'm coming from the USA
  14. It ain't necessarily so
Gesamtspielzeit: 39:04 min

Im Forum kommentieren

The National Codex

2014-03-25 21:02:54

Schmidt ist doch mittlerweile der personifizierte Abgesang.

zeiten ändern sich

2014-03-25 10:45:55

vielleicht hat helge auch einfach nur durchschimmern lassen, dass er schmidt früher mal besser fand...wer weiß?

wah wah haid (hausen)

2014-03-25 08:54:30

welches interview genau?

Wah haid

2014-03-25 08:32:54

Grossartiger Musiker, sehr versiert, beherrscht viele Instrumente, aber völlig unlustig inzwischen.

War früher ein Gegenpol zur glatten Mainstream-Comedy, ist heute nur noch peinlich.

Das letzte Interview bei Harald Schmidt war selbst für Schmidt, der Schneider eigentlich sehr schätzt, dem Vernehmen nach ein "ein Abgesang", und hatte ungeahntes Fremdschäm-Potential.

timothy jonas rüdiger gertraude emili elisabeth jürgen

2014-03-24 20:33:06

helge is scheisse

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