Pet Shop Boys - Electric
X2 / Kobalt / Rough TradeVÖ: 12.07.2013
Auf links gezogen
Ungeheuerliche Erkenntnis: Pet Shop Boys sind auf Speed. Nein, hier ist nicht das Zeug gemeint, das es Partygängern ermöglicht, drei Tage wach zu bleiben – Neil Tennant und Chris Lowe gehören momentan einfach zur schnellen Truppe. "Electric" erscheint nur zehn Monate nach dem gediegenen Vorgänger "Elysium" und klingt lediglich vom Titel her nach den "English electric"-Betulichkeiten der Kollegen von OMD. Anders als diese ziehen Pet Shop Boys die Hörgewohnheiten nämlich gehörig auf links, denn die beiden haben ein Dance-Album aufgenommen. Und nicht etwa eins von der Sorte, die bei ihnen früher "Disco" hieß, im Titel durch eine laufende Nummer ergänzt wurde, bereits bekannte Songs auf die Tanzfläche zerrte und ein paar Exklusiv-Dreingaben enthielt.
Vielmehr handelt es um die zwölfte reguläre Studioarbeit des Duos, auf der ungeachtet dessen die Beats ungewohnt rabiat rumpeln, die Basslinien angespitzt furzen und die digitalen Effekte teils so wild durch die Gegend schießen, dass man sich eher auf einem Neunziger-Rave statt bei Pet Shop Boys wähnt. Schon der quasi-instrumentale Euphorie-Einstieg "Axis" weist den Weg: Willkommen zurück im Acid-House, immer herein in die gute Stube. Dank Tennants und Lowes Gespür für Distinguiertheit und universell verständliche Codes bleibt "Electric" trotz aller Aufgepumptheit jedoch fast immer Pop – mit charakteristischen Widerhaken natürlich. Und die Tatsache, dass es sich bei "The last to die" um eine Bruce-Springsteen-Coverversion handelt, die als vollmundig-temporeiche Synthie-Breitseite verblüffend gut funktioniert, ist nur einer davon.
Ähnlich perfide spielen Pet Shop Boys im fantastischen "Love is a bourgeois construct" Herzschmerz und dezente Gesellschaftspolitik mit linker Schlagseite gegeneinander aus und feiern nebenbei 20 Jahre nach "Go West" die nächste monolithische Hit-Hymne. Ein Sample aus der Feder von Barock-Komponist Henry Purcell hier, gigantomanische Männerchöre dort, unverschämt gutgelaunte elektronische Fanfaren überall. Für Produzent Stuart Price mit Sicherheit ein wahr gewordener Traum ohne The-Killers-Schmalz, in dem Tennant zum galoppierenden Upbeat die Liebe eigentlich nur deshalb eine "blatant fallacy" schimpft, weil sie ihm gerade frisch abhanden gekommen ist. Der Neid des Besitzlosen springt dem Hörer förmlich ins Gesicht – und dann weiter auf den Dancefloor. Meisterhaft.
Ein Adjektiv allerdings, das auf "Electric" nicht durchgängig zutrifft, weil sich das Album ab und an verzettelt. Der Refrain des House-Piano-Stampfers "Bolshy" zeigt Tennant merkwürdig out of tune, während sich das Track-Rudiment "Shouting in the evening" fast ausschließlich auf plärrende, nervensägende Effekthascherei verlässt. "Thursday" hingegen könnte ein formidabler Wiedergänger von "West end girls" und "Love comes quickly" sein, wird aber dann von Gastrapper Elliot Gleave alias Example so mutwillig zerstückelt, dass es am Wochenende im Grunde nur besser werden kann. Doch wenig später rückt "Vocal" die Dinge wieder gerade, wobei die Strahlkraft der Synth-Kaskaden einen ganzen Flutlichtpark ersetzen könnte. Distinktionsgewinn dank Disco – für Pet Shop Boys eine der leichteren Übungen. Ohne Substanzen, dafür mit Substanz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Love is a bourgeois construct
- The last to die
- Vocal
Tracklist
- Axis
- Bolshy
- Love is a bourgeois construct
- Fluorescent
- Inside a dream
- The last to die
- Shouting in the evening
- Thursday (featuring Example)
- Vocal
Im Forum kommentieren
musie
2014-07-16 15:00:37
Flourescent zu den drei rezitierten highlights hinzufügen und wir haben vier Pet Shop Boys lieder der besseren sorte. das ganze live immer noch erstaunlich unterhaltend.
musie
2013-09-04 08:11:34
Elysium 7/10 und Electric 6/10. Electric soll schlechter sein als Elysium? Nenene... Elysium ist eins der schlechteren PSB Alben, Electric hingegen eins der besseren...
Dong
2013-08-12 19:52:20
Die 6/10 hier mutet immer noch etwas seltsam an.
Katrin Mareike Olaf
2013-08-12 19:47:56
schwülstig, aber top, das ist Pet Shop Boys Pop. Supi!
...
2013-08-12 19:34:45
Vor allem hatten sie immer eine spürbare Vorzüglichkeit für melodiöse Großartigkeit!
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