Survival - Survival
Thrill Jockey / Rough TradeVÖ: 17.05.2013
Futur zwei
Im Film wird die Schöpfungskraft einer Person immer auf ähnliche Weise suggeriert: Diese steht am allerbesten ebenso gedankenverloren wie hochkonzentriert vor einer Tafel, die vollgeschrieben ist mit Gleichungen. Oder, so machen uns das die Polizistenfilmchen vor, vor einer Pinnwand, die zugetackert ist mit Bildern von Verdächtigen, Landkarten und Fotos von den Kreidezeichnungen auf dem Asphalt. Dann schaut die Person - fast ausschließlich männlich - bitteschön schwer inspiriert, bestenfalls schwirren noch weitere Folgepfeile, Namen und Gleichheitszeichen per Tricktechnik ins Bild, und fertig ist das, was sich die Masse unter Kreativität vorstellen soll.
Klar, eben diese Kreativität hat gefälligst ein Ziel zu haben. Zum Beispiel das Festsetzen von Verbrechern oder die Lösung eines mathematischen Jahrhundertproblems. Welche Ziele Survival, die neue Band von Liturgy-Kopf Hunter Hunt-Hendrix verfolgen, ist da weitaus schwieriger zu sagen. Liturgy haben klare Absichten vor Augen, wenn man an die verschwurbelten Worte von Hunt-Hendrix denkt, mit denen er davon sprach, den Black Metal dem Nihilismus, der Zerstörungswut und der Misanthropie zu entwinden. "Survival" ruft immer wieder Erinnungen wach an Liturgy, und doch, es ist auch so etwas wie das straighteste Rockalbum, das Hunt-Hendrix zu schreiben vermag. Vordergründig zumindest.
Aber Survival schreiben Musik in Unterscheidungen. Sie verfolgen Spuren zurück zu Klassikern wie Black Sabbath, zu Swans, dem Stakkato von Killing Joke oder gar zu den Smashing Pumpkins. Sie unterziehen diese neuen, alten Lektüren, grenzen sich ab, affirmieren, lesen zwischen den Zeilen. Und freilich, zum Ursprung vordringen kann nicht gelingen. Genau das würde Retro versuchen: Ein angestaubtes Gitarrenriff anno 1970 eins zu eins nachspielen, die gleichen Frisuren, die gleichen lyrischen Wichtig- und Nichtigkeiten. Wer 2013 tut, als sei 1969, der glaubt auch an die Freiheit im Marlboro-Clip.
Wenige reflektieren so klug über das unausweichliche Spannungsverhältnis von Zitat und Innovation, über die zu begrüßende Entwurzelung, das Abschneiden von alten Traditionslinien und den damit verbundenen Lebensstilen wie die Musikerkollektive um Hunter Hunt Hendrix. Die Verschiebungen, die durch kleinste Variationen größtmögliche Effekte erzielen, finden ihre nachdrücklichste Gestalt in den immer wieder wuchernden, angreifenden, vorstoßenden und umzingelnden Gitarren. Sie führen ein Eigenleben ähnlich der Raserei eines Mosquitoschwarms bei Liturgy, sie türmen, überlagern sich, geben sich einem steten Anschwellen und Abschwellen hin.
"Survival" ist mehr als alles andere Gitarrenmusik im echten Wortsinn. Folgerichtig spielen auch alle weiteren Instrumente eine untergeordnete Rolle, was vor dem Hintergrund der schlicht atemberaubenden Schlagzeugarbeit bei Liturgy überrascht. Das Highlight "Original pain" überrollt den Hörer denn auch just in dem Moment, in dem der Bass sich breit macht unter den sich aufschwingenden Gitarren. Und auch der wunderschön betitelte Ausklang "The triumph of the good2 entwickelt aus einer manischen Gitarrenfigur, die sich selbst zu verspeisen, ja wiederzukäuen scheint, einen ähnlichen Sog wie der Liturgy-Übersong "Harmonia".
Das Album spielt mit der Avantgarde von 1980, allen voran Glenn Brancas von unruhigen, nadelstichgleichen Gitarren bearbeiteten No-Wave-Perlen wie "Lesson No. 1". Jetzt jedoch wird ersichtlich, welche Zukunft Branca erdacht haben muss: eine, die durch die Wall of Sound des Mathrock über die Trümmer des Screamo dem Blues nachsteigt. Extrem laut und unglaublich nah. "Can't reach the star / We've come this far / The glory is the pain.". Da ist Schönheit im Schmerz.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tragedy of mind
- Original pain
- The triumph of the good
Tracklist
- Tragedy of mind
- Original pain
- Freedom 1
- Second freedom
- Since sun
- Our way
- Freedom 3
- Tragedy reprise
- Triumph of the good
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