Jamie Cullum - Momentum
Island / UniversalVÖ: 17.05.2013
Mutter, wir danken Dir
Momentchen, wo ist denn da das Klavier? Hat der Dispo nicht für einen neuen Flügel gereicht, nachdem Jamie Cullum, der kleine Pyroman, seinen alten auf dem Cover von "The pursuit" genüsslich in die Luft gejagt hat? So wirkt zumindest der Opener von "Momentum", der alles andere als "The same things" macht wie das letzte Album. Stattdessen geht es Cullum reduziert und Percussion-lastig an - man könnte auch sagen: mittelspannend -, bis er sich doch noch zu einem Solo an den Tasten bequemt. Dies allerdings keineswegs am Klavier: Als der Flügel zerlegt war, hat er wohl eine verstaubte Orgel auf dem Dachboden gefunden und sich nach der Hochzeit mit Model Sophie Dahl spontan noch einmal verliebt. Kam "The pursuit" noch nicht einmal beim Dancefloor-Rausschmeißer "Music is through" ohne Klaviersolo aus, scheint der schwarze Kasten mit den Saiten inzwischen ein wenig an Faszination verloren zu haben. Oder um es positiver auszudrücken: Cullum wagt es, anderen Instrumenten mehr Platz einzuräumen, sich selbst nicht zu sehr in den Vordergrund zu spielen.
Eben dies ist die größte Stärke der neuen Platte: Wenn auch insgesamt etwas schwächer als der Vorgänger, präsentiert sich "Momentum" offener und in seinen Sounds vielseitiger. Cullum zeigt noch mehr als auf den älteren Alben, dass er als begnadeter Pianist auch weit abseits seines Hauptinstruments hervorragend komponieren und arrangieren kann. Klavier gibt es dann aber natürlich doch und das auch nicht zu knapp. Der Cullum-typische Jazz-Pop-Bastard "Edge of something" lässt den Geigen zwar die melodische Oberhand, das Piano wäre aber trotzdem kaum wegzudenken. Und im wirklich gut gemachten Video zur ersten Single "Everything you didn't do" arbeitet sich Cullum auch visuell wieder bis zum Konzertflügel hoch, diesmal ganz ohne unüberlegtes Zündeln. Dabei klingt Jamie Cullum vor allem wieder wie Jamie Cullum. Ganz unabhängig von Instrumentierung und Stimmung hat der Brite längst einen Stil gefunden, der genauso variabel wie eindeutig ihm zuzuordnen ist. Auch überraschende Ausbrüche sind da Standard: Das großartige "When I get famous" holt mit dicker Bläser-Sektion den 1960s-Soul in die Gegenwart, und "Love for $ale", im Original von Cole Porter, bekommt nicht nur im Songtitel ein bisschen Bling Bling spendiert: Goldkettentaxi Roots Manuva erweitert die Cullumsche Gewürzmischung um eine Rap-Einlage für die Jazzer mit tiefhängenden Hosen.
Die zweite Neuinterpretation, "Pure imagination", tauchte zum ersten Mal 1971 in einer Musicalfilm-Adaption von "Charlie und die Schokoladenfabrik" auf. Cullums Version klingt nach genau der farbenfrohen Traumwelt, durch die ein Kind in jener Fabrik zu schweben glaubt, den hinterlistigen Willy Wonka braucht es da gar nicht. "Get a hold of yourself" dagegen hätte ein bisschen exzentrische Schokoladenfabrikantenpersönlichkeit nicht schlecht getan, denn ohne ist das Stück etwas seicht geraten. Auch "Sad, sad world" könnte diesen Einruck erwecken, spielt aber derart gekonnt mit unbeschwerter Leichtigkeit und großen Melodien, dass es trotz aller Vorhersehbarkeit zumindest Cullums Pop-Ader überzeugend vorführt und sich als hartnäckiger Ohrwurm ins Gehirn brennt. Die erste Albumhälfte ist definitiv die stärkere - dass er zum Ende hin etwas nachlässt, sei Cullum aber verziehen, denn auch wenn der eine oder andere allzu klischeehafte Pop-Moment nicht nötig gewesen wäre, ist die Inszenierung einfach zu gut. Jamie Cullum kann, was er tut, und scheint dabei noch immer unglaublichen Spaß zu haben. Nicht zuletzt, weil er trotz aller Vorliebe für wilde Ausflüge immer wieder zu den schwarzen und weißen Tasten zurückkehrt. Um es mit den Worten von Loriot zu sagen: Ein Klavier, ein Klavier, Jamie, wir danken Dir!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Edge of something
- When I get famous
- Love for $ale (feat. Roots Manuva)
Tracklist
- The same things
- Edge of something
- Everything you didn't do
- When I get famous
- Love for $ale (feat. Roots Manuva)
- Pure imagination
- Anyway
- Sad, sad world
- Take me out (of myself)
- Save your soul
- Get a hold of yourself
- You're not the only one
Referenzen
Spotify
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