Neo Rodeo - Mein junges und sorgloses Herz

Tapete / Indigo
VÖ: 26.04.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Unabhängigkeitserklärung

Die Dunkelheit der Nacht hat Einzug über dem kleinen Western-Städtchen gehalten. Die letzten Trunkenbolde sind schon längst vom Saloon nach Hause getorkelt, der chinesischstämmige Wäschereibetreiber hat bereits vor einigen Stunden das letzte Hemd zum Trocknen gehängt, und auch der aschfahle Bestattungsunternehmer hat schon den letzten Sargnagel des Tages gesetzt. Eine friedliche Atmosphäre liegt über dem schlafenden Örtchen. Doch da: In der Nähe des Gefängnisses ist ein leises, aber in der nächtlichen Stille kaum zu überhörendes Kratzen zu vernehmen. Da sägt doch jemand am Gitter des kleinen Zellenfensters der Sheriff-Hütte! Es ist die wieder einmal völlig zu unrecht eingelochte Band(e) Neo Rodeo, die hier ganz offensichtlich den nächsten Ausbruchversuch wagt.

In der Tat: Das Debüt der fünfköpfigen Truppe dreht sich vor allen Dingen ums Ausbrechen, und wenn man mit ihren Songs auf den Ohren durch die Straßen spaziert, fehlt einem bisweilen der Gaul unterm Hintern. Gekonnt spielen Neo Rodeo mit dem musikalischen Western-Klischee. Was das Quintett dabei von Truck Stop abhebt, ist neben dem weitaus weniger "schillernden" Auftritt in erster Linie die unverblümt-echte, unanfechtbare und abenteuerlustige Einstellung: "Dieser Rock'n'Roll ist nunmal ein Teil von mir", stellen sich die Freiburger im Opener der Platte vor. Jenes rebellische Element besingt die Gruppe zum Beispiel in "Milchmann". Dort befreit sie sich aus der einschnürenden Enge des ewigen Strebens nach erfüllter Liebe: "Ich will das nicht mehr", krächzt Leadsänger Johannes Winter abgetörnt-angewidert schließlich. Ja, der Rock'n'Roll hat schon aus so manchem Milchbubi einen Cowboy gemacht.

Ein Cowboy ist sorglos und frei von Verpflichtungen. Ohne jede Spur von Furcht reitet er ins Ungewisse und findet darin seine Bestimmung. Wird er in die Enge getrieben, wehrt er sich strampelnd, bis er sich aus eigener Kraft wieder freizumachen weiß. "Ich hab' mich heute selbst gefeuert und es war / Ein Sieg, ich ging gleich an der nächsten Ecke in die Bar / ... / Diese Affäre mit der Karriere und der Pflicht / Ist einfach nicht das Richtige für mich", beschreibt das Quintett einen solchen Prozess der Selbstbefreiung im starken "Meine Karriere und ich". Neo Rodeo hadern nicht, sie ziehen direkte Konsequenzen. Auch der Titelsong "Mein junges und sorgloses Herz" beschreibt eine Episode des Ausbruchs: So sehr der Protagonist auch die Beziehung zu seiner Auserwählten genießt, lässt ihn der Traum völliger Unabhängigkeit doch nie los. Um sich nicht weiter zu belasten, nimmt er schließlich Reißaus. Im nächsten Titel "Alles was ich hab" schildert die Gruppe die Hinterlassenschaften dieser vorhergegangenen Schlacht. "Ich laufe ganz alleine / Ganz alleine durch die Scheiße / Hinter mir ist alles Schutt und Rauch", heißt es dort - so mag es der Cowboy doch am liebsten.

"Es ist so schön, ein Cowboy zu sein", sang Gisbert Zu Knyphausen auf seinem Debüt "Gisbert zu Knyphausen" vor einigen Jahren. Doch wo die Geschichte zu Knyphausens in den Armen seiner Liebsten endet, finden Neo Rodeo in der Verpflichtungsfreiheit ihr persönliches Happy-End. Zeilen mit solch zerstörerischer Aussagekraft wie "Ich brauch' keine Liebe / Ich brauch' ein Schafott" zeigen, wie ernst die Band ihr Ausbruchunterfangen nimmt. Getreu dem - etwas umformulierten - Motto "Du bekommst den Cowboy aus dem Western, aber den Western nicht aus dem Cowboy" umtreibt die Truppe auch hier im hochtechnologisierten 21. Jahrhundert der Wunsch eines freien Lebens. Neo Rodeo formulieren ihre eigene kleine Unabhängigkeitserklärung und deklarieren für sich die Emanzipation von Umständen, von Ansprüchen anderer und ein Leben, dessen einziges Ziel der Weg ist. Unbehelligt reiten die Fünfe von dannen, der Sonne entgegen. "So long!" - bis zum nächsten Abenteuer.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mein junges und sorgloses Herz
  • Alles was ich hab
  • Meine Karriere und ich
  • Milchmann
  • Alles egal

Tracklist

  1. (Hallo, hallo) Ich bin wieder da
  2. Mein junges und sorgloses Herz
  3. Alles was ich hab
  4. Meine Karriere und ich
  5. Abrahams Bar
  6. Fleißiges Mädchen
  7. Freie Liebe
  8. Urlaub
  9. Milchmann
  10. Alles egal
  11. Nicht mehr ganz klar
  12. Ganz sicher vielleicht
Gesamtspielzeit: 46:01 min

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lego

2014-11-17 19:19:54

die texte find ich eher am wenigsten bemerkenswert an denen.

JaRaDa

2014-11-17 18:15:24

Interessant, hör grad mal rein, klingt ja total nach Wanda, die grad so gehyped werden, Texte scheinen auch ähnlich gut zu sein.

lego

2014-11-17 13:52:44

wie ulkig. 8/10 haben sie hier bekommen und kein schwein hat sich letztes jahr dafür interessiert.

hab sie gestern spontan gesehen, vorher noch nie was von ihnen gehört.
hat mir sehr gefallen.

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