Gentleman - New day dawn

Vertigo / Universal
VÖ: 19.04.2013
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Tüte und Stockbrot

Tilmann Otto ist ein anständiger Mann. Ein Vermittler zwischen den Seiten, wenn sich mal wieder jemand die Texte manches Reggae-Künstlers genau angesehen hat. Gegen das mediale Bild, dass es in diesem Genre eigentlich um nicht mehr geht als Kiffen und Homosexuelle auf den Scheiterhaufen zu wünschen, kommt aber auch Otto in den letzten Jahren nicht mehr wirklich an. Das liegt daran, dass die Cannabis-Fraktion mit Snoop Lion atmungsaktiven Zuwachs bekommen hat und dass Otto als Gentleman mittlerweile Reggae nur noch in Zwischentönen einbaut. Die Single "You remember" hat deutlich mehr mit Pop zu tun. Das merkt man gleich an dem beschleunigten Beat, der säuselnden Hook und, vielleicht noch viel wichtiger, am Text, der ein wenig über die gute alte Zeit säuselt. Damals, als es noch kein Facebook gab und die Leute noch Briefe geschrieben haben. Damals, als es kein Youtube gab und die Kinder noch auf Bäume geklettert sind. Damals, als Gentleman noch eindeutig Reggae machte.

Aber diese Zeiten sind mit seinem sechsten Album wohl vorbei. Klar, mit "Where is the love" ist noch ein Ding dabei, das sich an die entspannte Atmosphäre lehnt. Doch der Beat will nicht so richtig ins Programm passen, obwohl er losgelöst gut und gerne in einem Dancehall-Brett auftauchen könnte. Stattdessen experimentiert Gentleman mit allem, wohin sich seine Stimme biegen lässt. "Push comes to shove" rumpelt über einen quakigen HipHop-Beat, der selbst Fler unangenehm wäre. Und auch das mit dem Rappen funktioniert nicht überzeugend. Dann lieber "Another drama" mit Reggae-Beat, Reggae-Bläsern und Reggae-Flair. Das kann Gentleman einfach am besten. Auch "Humanity's glory" läuft mit dem gleichen Schema ab. Das wirklich Wunderbare an Gentleman: In den beiden Tracks zeigt er, dass es herzlichst egal ist, ob jemand aus Osnabrück oder Kingston kommt, um Reggae authentisch klingen zu lassen.

Umso bitterer, dass auf "New day dawn" der Pop so gleichberechtigt daneben steht. "Memories" funktioniert als Ballade noch gut, während "Walk away" auf die gleiche Atmosphäre aufbaut wie "You remember". Es wiederholt und ähnelt sich aber zu sehr, um der Sache neue Dinge abzuleiern. Gentleman hat sich weiterentwickelt, keine Frage. Doch das Genre verändern, das wird auch "New day dawn" nicht. Obwohl mehrere sehr gute Tracks auf der Platte vorhanden sind. Dafür riskiert Gentleman auch zu wenig. "Homesick" ruft mit seiner Akustikgitarre zum Schluss wieder zum Sitzkreis auf, zu Lagerfeuer und Tüte, Ökoessen und Stockbrot. Das berührt die gleichen Rezeptoren im Hirn wie einst. Nur dieses Mal erinnert es vor allem an eins - die gute alte Zeit.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • You remember

Tracklist

  1. The journey
  2. In my arms
  3. Interlude
  4. You remember
  5. Walk away
  6. New day dawn
  7. Memories
  8. Wings to fly
  9. Road of life
  10. Where is the love
  11. Another drama
  12. Humanity's glory
  13. Push comes to shove
  14. Heart of rub-a-dub
  15. Homesick
Gesamtspielzeit: 45:03 min

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