IAMX - The unified field

61seconds / Soulfood
VÖ: 22.03.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Unterwegs mit Messer-Jocke

Künstler haben eines mit Pippi Langstrumpf gemein: Sie machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Und für Chris Corner, den lütten Berliner Alleinunterhalter mit Migrationshintergrund, ist diese Welt eine zerrissene, die man als Außenstehender nur synapsenrunzelnd bestaunen kann. Entsprechend wirr und berauscht von den eigenen Semantiksalven fallen seine Texte bisweilen aus. Was allein Tante Prüsseliese und ihren Sinn für das Profane stören sollte. Wahre Schönheit kommt schließlich von innen.

Doch im Einzelnen: Erst wollte der passionierte Einzylinder Corner keine gezügelte Randale mehr mit seinen Dachboden-Kumpanen Sneaker Pimps machen. Dann versuchte er es in der Fremde auf sich allein gestellt und erhob seinen expressionistischen Weltschmerz-Apocalypso über diverse Alben hinweg in schier babylonische Höhen. Die Verdienste waren ausverkaufte Kohlenkeller, gestürmte Mülldeponien und gebrandschatzte Kriegsbunker. In einen selbigen hatte er sich zuletzt verkrochen, um seine Wunden der "Volatile times"-TorTour zu lecken - und sich flugs den passenden Sanitöter dazu geholt, der ihm den Schorf von den Alltagsnarben kratzt: Jim Abbiss, ein fahlgesichtiger Wandschrankbewohner, den keine Sau kennen würde, hätte er nicht erfolgreich Hand an die Audiodateien von Wonneproppen Adele, den feinfühlenden Temper Trap oder den leutseligen Arctic Monkeys gelegt. Nach wie vielen Flaschen Absinth er als Corners Sozius für umme zugesagt hat, ist leider nicht überliefert.

Gemeinsam haben sie sich das Leitmotiv des sinistren Piraten aus den Erzählungen der Dame Lindgren zu eigen gemacht und kommen nun nicht bloß mit Messern, sondern räubern sich durch 10 Jahre IAMX-Geschichte, dass es eine einzige diebische Freude ist. Vor allem, wo man dieses Taka-Tuka aus dunkler Materie nicht als doofes Selbstplagiat, sondern als bewusste Fortführung der gewonnenen Erkenntnisse begreifen sollte. "The unified field" ist ein zögernder, aber zwingender Schritt auf dem Weg in ein eigenes Universum - und tief hinab in des Hörers Herz.

"I come with knives" klopft sich ohrenschmeichlerisch und mit Verve durch die vertraute Villa Kunterbunt und wird dabei per deutschsprachigem Mantra erfrischend anders pointiert. Das Titelstück mag nicht nur Herrn Nilsson und dem kleinen Onkel bekannt erscheinen - und doch ist die drückende Boshaftigkeit, das lauthalse Tanz-Bollwerk früherer Jahre einer leiseren Intensität und Intimität gewichen, die sich in "Quiet the mind" mit der Empfindsamkeit des jungen Robert Smith zu einem tränenrührenden Epos verbinden. Selbst dem ehrwürdigen Kapitän Efraim Langstrumpf wird's hier warm um den Knorpel.

Die kleinlauten Akustikgitarren und Nach-22-Uhr-Percussions von "Under atomic skies" deuten häppchenweise auf die eigene Bandvergangenheit hin, ehe "Screams" in sparsamer Maschinen-Eurythmie zu wohlbehaglichem Gruppenkuscheln einlädt und bei "Come home" Erinnerungen an die letzte Kinderlandverschickung mit Tommy und Annika nach Ägypten wach werden - unter der Reiseleitung von Brian Molko. Kann noch jemand folgen? Nein? Gut.

Verschlafene Brass-Sounds in "Animal impulses". Hymnischer Tanzdielen-Wahnsinn bei "Walk with the noise". Schrilles Fregatten-Geschmetter, folkige Handclaps und Gypsy-Gefiedel in "Land of broken promises". Und während "Trials" schauen Dead Can Dance spontan auf einen Schluck von Konrads Spezialkleber vorbei. Alles nur Zufall? Mitnichten. Corner traut sich heuer mehr und baut keineswegs allein auf ultraschwere Waffentechnik. Er lässt lieber solides Handwerk sprechen und liegt damit goldrichtig. Die Maschinen mögen unseren Geist regieren - unsere Herzen erobert nur der edle Barde mit der Schädelharfe.

(Andreas Knöß)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I come with knives
  • The unified field
  • Quiet the mind
  • Walk with the noise
  • Trials

Tracklist

  1. I come with knives
  2. Sorrow
  3. The unified field
  4. The adrenalin room
  5. Quiet the mind
  6. Under atomic skies
  7. Screams
  8. Come home
  9. Animal impulses
  10. Walk with the noise
  11. Land of broken promises
  12. Trials
Gesamtspielzeit: 52:10 min

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