
Laing - Paradies naiv
Island / UniversalVÖ: 01.03.2013
Halbe Scheibe
Er hat wieder zugeschlagen! Am 28. September 2012, um genau zu sein. Das Raabsche Fernsehuniversum feierte den alljährlichen Bundesvision Song Contest, da drang er völlig unvermittelt in die Gehörgänge der Republik: der gemeine Ohrwurm. "Ich bin morgens immer müde, aber abends werd ich wach", keiften die hübschen Mädels von Laing aus Sachsen da in ihre Mikros, während der tropfende Minimal–Beat die Zuschauer aus ihren Sesseln hob. Die YOLO-Fraktion tobte vor Glück, der Nerv der Zeit fiel getroffen zu Boden, Trude Herr (von der das Original stammt) probte die unterirdische Rolle rückwärts. Ein sympathisch aus der Hüfte geschossenes "Carpe noctem" - genau das Richtige für die nächste durchzechte Tanznacht. Auf die anschließende Tour der Überraschungs-Zweiten des "BuViSoCo" hin veröffentlichen diese nun ihren ersten Langspieler. Jetzt gilt es: Alles nur Hype?
Als "Electric Ladysound" bezeichnet die Truppe die eigene Stilrichtung. Das kommt hin. Feinsinnig damenhaft präsentieren sich die elektronischen Arrangements auf "Paradies naiv". So schimmert die musikalische Untermalung in den verschiedensten Syntethikfarben: mal wabernd basslastig, dann wieder kleinteilig klappernd oder aus den Tiefen des Äthers plätschernd. Bandleaderin Nicola Rost legt stimmgewaltig vor. Die beiden anderen Sängerinnen umschweben den Leadgesang im bunten, versetzten Singsang oder stimmen hervorhebend mit ein. Genau dann entfaltet die Komposition ihren geballten weiblichen Charme und gefällt im Besonderen.
Ganz schön emanzipiert stellt sich das Damenquartett in seinen Texten dar: Ein Graus für die Brüderles der Nation. Laing sprechen unverblümt über Sex aus der Perspektive einer Frau, die weiß, was sie will: "Ich kenn' Deinen Geschmack und weiß, wie Du beim Ficken klingst / Doch ich konnte mir nie merken, dass Du Kaffee gern mit Zucker trinkst", geben die Wahlberlinerinnen in "Mit Zucker" zum Besten. Das Zwischenstück "Die Nachrichten", eine Reprise auf die Tagesschau, zeichnet einen wirklich hübschen Geschichtsrückblick im Ping-Pong mit der eigenen Erfahrungswelt. "In Japan brennt das Kernkraftwerk und ich krieg' meine Tage", lautet dabei einer der bemerkenswertesten Sätze. Am Ende hat die Protagonistin, ob der vielen schlechten Neuigkeiten, nur noch die Wahl zwischen dem Freitod und dem Staubsaugen – herrlich selbstironisch. Auch "Pleite" weiß zu überzeugen, berichtet von einer Art zwischenmenschlichem Insolvenzverfahren. Die Selbstverausgabung für die große Liebe endet schließlich in schaler Zuneigungsilliquidität. Die Kehrzeile des Stücks hat einen besonders hohen Unterhaltungsfaktor, klingt sie trotz alledem klatschig-freudig statt nölend-tranig.
Klingt doch super, oder? Jein. Während "Paradies naiv" anfangs noch zu fesseln weiß, folgt ganz unvermittelt der Dämpfer: Nach diversen schmissigen, durchdachten und liebenswürdig dargebotenen Krachern, kehrt nach etwa der halben Spielzeit das große Vakuum ein. Da liegt die Vermutung nahe, dass nach einigen fruchtbaren Nachtstunden im Studio analog zum Albumverlauf der zuvor thematisierte müde Morgen Einzug hielt. Im Angesicht der positiven Ansätze wirkt das ganz besonders schade – zweifelsohne wäre das Potenzial da gewesen. So bleibt "Paradies naiv" letztlich Stückwerk. Schließlich streikt der CD-Spieler; eine halbe Scheibe dreht sich nicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Morgens immer müde
- Die Nachrichten
- Mit Zucker
- Pleite
Tracklist
- Ding Dong
- Nacht für Nacht
- Morgens immer müde
- Paradies naiv
- Die Nachrichten
- Mit Zucker
- Pleite
- Maschinell
- Du & Du & ich
- Magnet
- Herr Amor
- Wünsche
- Das Schiff
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