Atoms For Peace - Amok
XL / Beggars / IndigoVÖ: 22.02.2013
Tathergang
Um es genau erklären zu können - oder selbst zu begreifen -, hilft es manchmal, die Vorfälle genau durchzugehen, Schritt für Schritt. Der Tag davor: Die Antwort auf die wöchentliche Rundmail vom Chef liegt bereits ein wenig zurück, die Gedanken sind schon weiter weg von den darin vorgestellten Platten und konzentrieren sich auf die jetzt anstehenden Rezensionen. Eine Mail kommt rein: Das Debüt von Atoms For Peace wurde zugeteilt, "Amok" soll im heimischen Briefkasten landen ... oder im Email-Posteingang ... oder wo auch immer. Der Tag, an dem "Amok" zugeschickt wird: Der Link schlummert dann doch im Posteingang, nervös klickt man drauf, die Seite öffnet sich nicht. Klick, klick, klick. Es passiert was, der Promo-Download startet und bricht nach zwei Minuten ab. Also nochmal klick. "Der Link ist nicht mehr verfügbar", na großartig. Am nächsten Tag kommt eine neue Mail, alles funktioniert, die .zip-Datei lässt sich ebenfalls problemlos öffnen und entpacken. Der erste Hördurchgang. Der zweite, der dritte. Im Kontrast ist jedenfalls interessant, was außerhalb dieses einsamen Fingers an den Tagen vor und nach "Amok" im Web passiert - überall dieselbe Frage: Gibt es die Songs etwa schon irgendwo zu hören? Die Leute flippen aus wegen eines Albums, das sie noch nicht kennen. Das kann man wohl auf mehrere Arten deuten.
Aber es stimmt schon: Ohne auch nur wirklich zu wissen, was "Amok" genau ist oder wie es klingt, reichen die großen Namen aus, um eine Erwartungshaltung zu erzeugen, die ihresgleichen sucht. Thom Yorke, klar. Flea von den Red Hot Chili Peppers. Radiohead-Produzent Nigel Godrich. Am Schlagzeug Joey Waronker, der mit Beck, Elliott Smith und R.E.M. zusammengearbeitet hat. Dazu Mauro Refosco, den man durch seine Kollaborationen mit David Byrne und Brian Eno kennt. Man erwartet viel von diesem Album, vielleicht zu viel. Thom Yorke versucht, nicht nach Thom Yorke zu klingen, und die Band versucht, nicht nach Radiohead zu klingen. Das klappt nur bedingt, zugegeben. Im Grunde könnte es ohne Probleme als direkter Nachfolger von "The king of limbs" duchgehen, dazu schwingt überall "The eraser" mit. Ziemlich klar ist jetzt schon: Hier gibt es eigentlich nur Schwarz oder Weiß, Grauschattierungen sind kaum möglich. Die einen werden es hassen, verfluchen, sich darüber belustigen. Alle anderen werden es lieben.
Mit "Before your very eyes" startet "Amok" also, bereits in den ersten Sekunden stellt sich Flea angemessenerweise vor: Der Bass ertönt, den Funk seiner Hauptband gibt es hier als Sonderzugabe, dazu ein hypnotischer Uptempo-Beat, und schließlich Yorkes eindringlicher Gesang: "Look out of the window / What's passing you by? / If you really want this / Bad enough." Ein beklemmendes Gefühl macht sich in der Magengrube breit. Eine Mischung aus unheilsschwangerer Finsternis und doch erlösender Hoffnung legt sich über die Melodie, Yorkes Falsetto bohrt sich mit einem sich wiederholenden "Sooner or later" seinen Weg in die Gehörgänge, Synthesizer gesellen sich dazu, und der Einstieg in "Amok" endet in einem langsam steigenden, aber gewaltigen Inferno. Das wäre also geschafft. "Unless" versucht sich auf die gleiche Weise, scheitert aber kurz vor der Zielgeraden am sterilen Unterton des Keyboards. Wenn man so etwas "scheitern" nennen kann. Was man schlichtweg nicht kann.
Auf sanftere Weise kommen "Default", der erste Vorbote von "Amok", und "Reverse running" daher. Beide versehen mit einer deutlich versöhnlicheren poppigen Note, bei denen Yorke im Vordergrund steht und jeder einzelne Ton auf ihn abgestimmt ist - bis sich im zweitgenannten Song schließlich tumultartige Bilder vor dem geistigen Auge abspielen und die Musik sich in einem elektronischen Feuerwerk verliert. Deutlich klarer wird "Stuck together pieces", bei dem der Bass gemeinsam mit dem Geklapper der am Computer hergestellten Beats jeglichem anderen Ton oder gar Yorkes Stimme locker den Rang abläuft. Wie eine Welle erklingt schließlich die Gitarre und erfasst den Hörer, reißt ihn mit sich, taucht ihn unter, nur um ihm kurz vor Schluss mit einem erlösenden Atemzug vor dem endgültigen Untergang zu bewahren. Passenderweise wartet der euphorischste Song dieses Kraftaktes von einem Album ganz am Schluss auf seine Chance - eben dabei wartet der Titelsong von "Amok" aber auch mit schweren Geschützen auf. Aufbruchstimmung macht sich breit, der Gesang wirkt nebulös, eine merkwürdige Art von Melancholie und Sehnsucht brodelt vor sich hin, bis die letzten Töne doch mehr Frieden bringen, als man anfangs noch für möglich gehalten hätte. Ob Atoms For Peace nach so viel Einkehr zum Tatort zurückkehren werden? Es bleibt zu hoffen. Vorerst aber übernehmen wir es gerne für sie: Klick.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Before your very eyes
- Default
- Stuck together pieces
- Amok
Tracklist
- Before your very eyes
- Default
- Ingenue
- Dropped
- Unless
- Stuck together pieces
- Judge, jury and executioner
- Reverse running
- Amok
Im Forum kommentieren
Mr Oh so
2020-11-30 00:07:02
Diese Yorke-Projekte begeistern mich immer ein paar Tage, aber so richtig nachhaltig ist das nicht.
edegeiler
2020-11-27 17:10:58
Zustimmung an Deaf. Hatte "Amok" in meinen Top 100 Songs der letzten Dekade.
Deaf
2020-11-26 18:29:09
DAS Highlight kommt für mich immer noch ganz am Ende des Albums: der Titelsong. Was für eine Bassline!
Felix H
2020-11-24 21:50:01
Die ersten beiden Songs bleiben schon sehr hängen, danach wird es echt dünn. Das Album lebt mehr vom Groove. Mag man von Flea halten, was man will, aber sein Bassspiel ist einfach markant und hier immens wichtig.
MopedTobias (Marvin)
2020-11-24 20:03:56
Bei den 10/10-Songs kann ich durchaus zustimmen (auch wenn ich selbst "Lotus flower" eher nicht dazu zählen würde). Aber besagter Flow macht "Amok" für mich ein kleines, aber entscheidendes Stück besser als TKOL.
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