
Apparat - Krieg und Frieden (Music for theatre)
Mute / GoodToGoVÖ: 15.02.2013
Im Wälzertakt
2280 Seiten, fünf Stunden oder 45 Minuten. Das sind die Unterschiede, die "Krieg und Frieden" ausmachen. Auf der einen Seite der Roman von Leo Tolstoi, der Wälzer, das kleine bisschen Weltliteratur, auf der anderen die Aufführung von Sebastian Hartmann, der unbequeme Brocken, die Provokation, das kleine bisschen Gegenwartskultur. Und dazwischen? Dort liegt "Krieg und Frieden (Music for theatre)" von Sascha Rings Projekt Apparat, das in dieser Aufzählung wohl noch die leichteste Portion ist. Doch im Vergleich zum Vorgänger "The devil's walk" relativiert sich das schon wieder. Denn diese Platte ist schwer, düster und stößt den Hörer mehr als einmal von sich weg. Etwa bei "44", das von fließenden Streichern in eine Noise-Version mutiert und so komplett verzerrt totale Weiten aufbricht. Wenn die Geigen da tatsächlich noch irgendwo sind, dann liegen sie längst unter all dem Geräusch verschüttet und pfeifen auf dem letzten Loch.
Solche Brüche funktionieren meist nur, wenn man die passenden Bilder dazu vor Augen hat. Losgelöst von der Aufführung, zu der Ring "Krieg und Frieden (Music for theatre)" erschuf, bleibt nur wenig von der Gewalt, die in diesem Sound steckt. Beim dröhnenden "Tod" formen sich dunkle Gestalten, verschieben sich Muster in einer formlosen Masse, aber es hat keinen eigenen Moment, sondern bleibt nur Versatzstück und Wurmfortsatz. Und so geht es dem ganzen Album. "Krieg und Frieden (Music for theatre)" baut in seiner Dreiviertelstunde keine Geschichte auf, sondern verlässt sich vermutlich auf die Kenntnis des Werks oder zumindest des Theaterstücks. Die einsamen Instrumente in "PV" könnten einem den Boden unter den Füßen wegziehen, besonders dann, wenn der Rhythmus sich aus dem Dunst schält und die Drums richtig klar schimmern. Danach folgt aber wieder Formlosigkeit: "K&F Thema (Pizzicato)" greift sich eine Melodie mit Klavier, Streichern und mutet so fast schon klassisch an. Das fällt aber komplett aus dem Rahmen und ergibt im gesamten Kontext der Platte keinen Sinn. Drone, elektronische Klänge und organische Sounds fügen sich nicht so ganz, wie es sich Ring vielleicht dachte.
Und dann wären da "Austerlitz" und "A violent sky", die Momente, in denen sich "Krieg und Frieden (Music for theatre)" zusammenzieht, wo jeder Ton ein Atemzug des gesamten Albums ist. Vielleicht liegt es daran, dass beide Tracks zugänglicher sind, sich leichter öffnen und klarere Melodien haben, die trotzdem ihre Wurzeln in den vorherigen Stücken und deren Sound haben. Es ist immer noch zugezogen, dunkel und schwer, aber die Noten helfen, das zu verkraften. Zudem setzt am Ende Ring ein und erzählt vor flackerndem Piano eine Geschichte von den großen Gefühlen. Endlich ein Mensch in dieser Kälte. Eine vertraute Stimme. Vielleicht ist "Krieg und Frieden (Music for theatre)" tatsächlich ein Brocken wie der Roman von Tolstoi. Oder aber Ring versteht es nur sehr gut, so zu tun. 45 Minuten im schönsten Wälzertakt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Austerlitz
- A violent sky
Tracklist
- 44
- 44 (Noise version)
- Light on
- Tod
- Blank page
- PV
- K&F Thema (Pizzicato)
- K&F Thema
- Austerlitz
- A violent sky
Referenzen
Spotify
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