Von Trampern, Autostoppern und Hitchhikern
Daniela
21.05.2008 - 23:22
Habt ihr Erfahrung mit Trampen? Möglicherweise lustige Anekdoten oder Theorien über diese Reisekultur? Vielleicht kennt ihr auch nur einen besonders günstig gelegenen Platz in eurer Stadt?
Alles her damit.
Zum Einstieg mal die Theorie eines englischsprachigen Soziologen, der nachweisen zu können glaubte, dass es den Trampenden nur sekundär um die Ersparnis des Weggeldes ging, primär aber um das Aufsaugen von Anekdoten und Lebensgeschichten.
Tramper sind demnach instabile Persönlichkeiten, die sich die fehlende Anerkennung durch das Erzählen ihrer Reiseanekdoten verschaffen.
(... bin noch auf der Suche nach der Quelle)
DDing
21.05.2008 - 23:41
Tramper sind demnach instabile Persönlichkeiten, die sich die fehlende Anerkennung durch das Erzählen ihrer Reiseanekdoten verschaffen.
Ist das bei Konzertgängern nicht irgendwie auch so? ;)
Bei Rock-am-Ring-Bändchen-das-ganze-Jahr-danach-Trägern auf jeden Fall.
Menikmati
21.05.2008 - 23:44
aha, weil man also anektoten aufsaugt und neugierig gegenüber anderen lebensgeschichten ist, gilt man also automatisch als instabile persönlichkeit. sehr interessante theorie..
Daniela
22.05.2008 - 00:52
aha, weil man also anektoten aufsaugt und neugierig gegenüber anderen lebensgeschichten ist, gilt man also automatisch als instabile persönlichkeit. sehr interessante theorie..
Die Theorie ist natürlich nicht so schlicht, wie ich sie dargestellt habe. Der Tramper kann nicht einfach von A nach B reisen, er benötigt außeralltägliche Abenteuer und Spannung. Es ist reizvoll, in jedem Auto eine andere Person darzustellen und vor allem: hinterher davon zu erzählen. Er transformiert gewöhnliche Alltagsgeschichten in die Form eines Abenteuerromans. Insofern also ist der Tramper eine instabile Persönlichkeit, als seine road stories eine fiktive Abenteurerpersönlichkeit beschreiben und nicht den Tramper selbst.
Soweit, etwas stümperhaft zusammengefasst, die Theorie.
Nachzulesen (allerdings mit dem Fokus auf bullshitting) auch hier www.mundanebehavior.org/issues/v3n2/jmb-v3n2.pdf (die Seiten 235-245).
Hab die Quelle eben recherchiert. Obwohl ich an das Buch online nicht rankomme, müsste das diese Studie hier sein:
http://www.jstor.org/pss/800062
Mukerji, Chandra (1978): Bullshitting: Road Lore among Hitchhikers.
Daniel Lügenbaron
22.05.2008 - 01:01
Die Analyse trifft auch auf alle zu die sich gegenseitig von "ihrer geilen Jugendzeit" erzählen, die meistens ziemlich durchschnittlich war, oder habt ihr mal jemanden getroffen der keine absolut geile Jugend hatte? Insofer ist jeder eine instabile Persönlichkeit, die Studie damit nichtig.
Thema kann geschlossen werden.
Novize
22.05.2008 - 01:05
@Daniel Lügenbaron
...oder habt ihr mal jemanden getroffen der keine absolut geile Jugend hatte?
Dann frag mal Jugendliche oder spätere Erwachsene, die in Heimen, Anstalten, bei Ersatzeltern oder in anderen, nicht der Ursprungsfamilie zuzurechnenden Institutionen aufgewachsen sind.
Deine These bricht zusammen wie ein Kartenhaus.
Greylight
22.05.2008 - 01:47
Nun ja, eine gewisse Portion Mut und Abenteuerlust gehört sicherlich schon dazu. Sowohl als Anhalter, als auch als Fahrer, der Jene mitnimmt. Ich würde beides tendenziell lieber nicht machen. Denn das Leben ist nun mal kein Road Movie; wenn tatsächlich irgendein Mist passiert, ist das nicht so prall.
Und wenn ich eine (womöglich gar noch hübsche) Frau wäre, würde ich auf keinen Fall trampen.
Khanatist
22.05.2008 - 01:55
Mal alle Instabilitäten beiseite gelassen, hier meine absurdeste (und erste) Tramperfahrung:
Vor mittlerweile einigen Jahren begab ich mich mit 3 Freunden, allesamt jugendlichen Alters, in ein an der Ostsee gelegenes Domizil mit dem höchstoriginellen Plan, den Schnapsschrank zu plündern. Schon hingefahren sind wir, mehr oder weniger versehentlich, schwarz, was für den Rückweg nicht in Frage kam; also machten wir uns zu Fuß auf den kilometerlangen Weg. Nach und nach gingen Sonne unter und Regen runter und einer der Gesellen hielt, halb aus Scherz, halb aus Verzweiflung, den berühmten Daumen Richtung Landstraße. Ich konnte darüber nicht mal schmunzeln, doch was passierte augenblicklich? Ein Wagen hält: Mercedes S-Klasse. Der Fahrer nimmt uns vierköpfige, offenkundig alkoholisierte Teenagerbande ohne zu zögern in die gewünschte Richtung mit, jedoch nicht mit derselben Endstation, wie sich nach nettem Plausch herausstellte. - .. Nein, was dann folgte, war nicht das Hostel-Prequel, sondern der Höhepunkt dieser anerkennungsträchtigen Anekdote: Der Fahrer hält am Ende unserer gemeinsamen Strecke auf dem Standstreifen, um für uns ein Auto mit dem gewünschten Ziel zu ertrampen. Da war ich spätestens baff, als sich im strömenden Regen recht schnell der zweite Mercedes-Fahrer fand und uns zum Bahnhof brachte (diesmal leider nur E-Klasse). *g*
Normalerweise füttere ich meine Profilneurose aber mit anderen Abenteuergeschichten und Anekdoten. Deinen Soziologen sollte außerdem mal jemand mit mitfahrgelegenheit.de bekanntmachen. :D
Greylight
22.05.2008 - 02:12
Der Fahrer nimmt uns vierköpfige, offenkundig alkoholisierte Teenagerbande ohne zu zögern
Ja ja, so lebensfähige, lockere Leute sind das wahrscheinlich... *g*
Khanatist
22.05.2008 - 02:24
Naja, natürlich schon mit Bart und so, also wie gesagt: eher "Hostel" als "Little Children" beschwören. *g*
Daniela
22.05.2008 - 07:31
@Greylight:
Diese Risikogeschichte höre ich nur von Leuten, die exlizit nie getrampt sind und nie trampen werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Gefahr in Deutschland, Opfer eines Axtmörders zu werden, sehr niedrig ist - auch für eine hübsche, junge Frau :).
@Khanatist:
Zu den Mitfahrgelegenheiten hab ich noch dies hier: http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/soh/24736.html.
Du musst bedenken, dass die andere Studie aus den Siebzigern ist. Mitfahrgelegenheiten, das ist so die weichgespülte Variante.
Die Trampkultur baut auf einen relativ selbstlosen Akt der Nächstenliebe, denn was der Fahrer dafür bekommt, ist zweifelhaft. Es ist einer der letzten Bereiche in denen sich völlig Fremde Hilfe leisten.
Norman Bates
22.05.2008 - 08:57
Ich bin einmal auf La Palma von einem schwäbischen Bildhauer mitgenommen worden, der sein Auto grün-weiß gestrichen hatte, um die deutschen Touristen zu erschrecken.
XY
22.05.2008 - 09:23
Es ist reizvoll, in jedem Auto eine andere Person darzustellen und vor allem: hinterher davon zu erzählen.
Das stimmt schon irgendwie. Man lernt eben Leute kennen, die man sonst nie getroffen hätte, wie bei der Mitfahrzentrale auch.
Tramper sind demnach instabile Persönlichkeiten, die sich die fehlende Anerkennung durch das Erzählen ihrer Reiseanekdoten verschaffen.
Will nicht jeder mit seinen Reiseanekdoten ein bisschen angeben? Bei manchen wird man sogar das üble Gefühl nicht los, dass sie allein aus dem Grund verreisen.
Ich verfüge offenbar über eine semi-instabile Persönlichkeit *g, weil ich bisher nur Kurzstrecken getrampt bin, ein paar S-Bahnhaltestellen bis zum Bahnhof, von der peripheren Pampa zurück ins (spanische *angeb*) Dorf und so etwas. Strecke auch nicht den Daumen raus, sondern stelle mich meist an eine Ampel und klopfe ganz unverschämt an die Fensterscheibe. Einmal habe ich bloß "hilflos" blickend in einem Eifeldorf am Straßenrand gestanden - das hat auch funktioniert.
Amüsant war die Fahrt mit drei älteren Leuten, die mich wohl in einem Anfall an vorweihnachtlicher Nächstenliebe mitgenommen haben, aber so schrecklich nervös und verängstigt wirkten, als ob sie befürchteten, dass ich gleich ein Messer aus meinem Rucksack ziehe. Und sie haben mich noch gefragt, ob ich denn keine Angst vorm Trampen hätte.
lazybone (p.b.ὠ)
22.05.2008 - 11:50
Literatur zum Thema:
Even cowgirl get the blues (Sissy - Schicksalsjahre einer Tramperin) von Tom Robbins.
Greylight
22.05.2008 - 12:18
@Daniela
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Gefahr in Deutschland, Opfer eines Axtmörders zu werden, sehr niedrig ist - auch für eine hübsche, junge Frau :).
;-) OK, glaube ich dir, dass man ganz anders drüber denkt, wenn man tatsächlich bereits getrampt ist. Allein die statistische Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden Beteiligten etwas Verbrecherisches tut, dürfte sicherlich eher gering sein.
Daniela
22.05.2008 - 22:18
@Flux:
Das ist nicht meine Theorie. Ich finde sie nur spannend. Außerdem lassen sich die Theorien zu Hitchhiking an zwei Händen abzählen.
Für meine stümperhaften Ausführungen hier kann der/die Autorin der Studie nichts. Wenn du dich dafür interessierst, oben hab ich die Literatur angegeben.
Eines darf man aber nicht missverstehen: es ist nicht "falsch" Anekdoten zu sammeln, die Theorie versucht nur zu erklären, aus welchem Grund dies geschieht. "Instabile" Persönlichkeit klingt möglicherweise auch zu pathologisch - ich möchte euch bitten, mal die oben angegebenen Originaltexte zu lesen, da wird nämlich Einiges klarer. Da vor allem junge Menschen trampen kann "instabile" Persönlichkeit auch bedeuten, dass es zur eigenen Identitätsfindung dient.
Die Trampkultur baut auf einen relativ selbstlosen Akt der Nächstenliebe, denn was der Fahrer dafür bekommt, ist zweifelhaft. Es ist einer der letzten Bereiche in denen sich völlig Fremde Hilfe leisten.
Sehe ich anders. Auch der Fahrer hat eine Chance auf eine Anekdote.
Genau - auf eine Anekdote. Das besondere am Trampen ist aber doch eben, dass einzig aus der Chance auf einen neuen Kontakt, oder auch aus reiner Freundlichkeit gehandelt wird.
Mir fällt noch genau ein weiteres System ein, das so funktioniert: die Hospitalityclubs dieser Welt.
Trampen erhält eine Motiv menschlichen Handelns, das so kaum noch besteht (zu klären wäre, ob es mal häufiger bestand).
ex tramper
22.05.2008 - 23:52
Diese Risikogeschichte höre ich nur von Leuten, die exlizit nie getrampt sind und nie trampen werden.
logo weil die anderen exlizit nicht mehr reden können
Vitalis
23.05.2008 - 00:28
lol
Menikmati
23.05.2008 - 00:35
schon odysseus oder alte seefahrer berichteten von ihren entdeckungsreisen (marco polo schilderte bspw. ein sechsköpfiges seemonster). sie verspürten den drang nach neue welten zu entdecken und den zurückgeliebenen davon zu berichten. im hinterkopf immer die suche nach dem paradies, die entdeckung einer besseren welt, die es so nicht gab..
trotzdem, die sehnsucht in eine bessere welt zu gelangen oder zumindest der eigenen für eine gewisse zeit zu entfliehen gab es schon immer und gibt es auch jetzt noch bei uns. wir, wo wir uns selbst doch als aufgeklärt bezeichnen würden. es hat nichts mit einer instabilen persönlichkeit zu tun und auch nicht spielen irgendwelche feigen motive mit, weshalb man sich so gern dem eskapismus (in form von reisen oder trampen) und später davon berrichtet. die welt in der wir leben gefällt uns auf dauer nicht. sie wird langweilig. der mensch ist ein gewohnheitstier obwohl er eigentlich spürt, dass gewohnheit seinem wesen nicht wirklich bekommt. und viele die den ausbruch trotzdem versuchen, werden in unserer gesellschaft als instabil oder feige betitelt. oft mit der platten begründung, dass der/diejenige es am angestammten ort zu nichts bringt und deshalb die flucht ergreift.. trampen ist für mich was vom inspirierendsten dass es gibt und wie daniela schon weiter oben vermerkt hat: "einer der letzten bereiche, in dem sich vällig fremde leute noch hilfe leisten."
Flux
23.05.2008 - 00:48
Für meine stümperhaften Ausführungen hier kann der/die Autorin der Studie nichts.
Das ist mir durchaus bewusst, doch interessiert mich mehr deine Interpretation als seine Theorie.
Mir fällt noch genau ein weiteres System ein, das so funktioniert: die Hospitalityclubs dieser Welt.
Wäre mein Post nicht sonst schon zu lang gewesen, hätte ich diese auch ins Spiel gebracht. Auch hier könnte man unterscheiden zwischen blinder Hilfsbereitschaft und dem Sammeln von Anekdoten.
Ich habe die Theorie nicht durchgelesen, könnte mir aber vorstellen damit einverstanden zu sein, wenn die Grenze zwischen Geld sparen und Anekdote suchen nicht zu stark gezogen wird.
Ohne Anekdoten wäre sowas wie aktuell gerade das 888-Projekt kaum denkbar.
Daniela
23.05.2008 - 08:25
Also das Problem ist ja: ich komme an dieses Originalbuch nicht ran. Insofern muss alles, was ich darüber sage, mit Zweifeln behaftet sein. Im Grunde kann man diese Theorie nur für das nehmen, was sie ist: ein interessanter Gedanke, nicht ohne Originalität.
Mehr kann ich dir erst sagen, wenn ich wieder genug Geld habe, um mir das importieren zu lassen :).
Wäre mein Post nicht sonst schon zu lang gewesen, hätte ich diese auch ins Spiel gebracht. Auch hier könnte man unterscheiden zwischen blinder Hilfsbereitschaft und dem Sammeln von Anekdoten.
Ich habe die Theorie nicht durchgelesen, könnte mir aber vorstellen damit einverstanden zu sein, wenn die Grenze zwischen Geld sparen und Anekdote suchen nicht zu stark gezogen wird.
Ja, zu diesem Ergebnis bin ich für mich auch gekommen. Anekdoten und Stolz auf Abenteuerreise hin oder her - mir erscheint es unglaubwürdig, dass dies der primäre Grund sein soll.
Schließlich ist Kein-Geld-Haben ein Knock-Out-Kriterium: es gibt keine andere Möglichkeit, kostenlos von A nach B zu kommen, als zu trampen (oder vielleicht noch die BahnCard100 :).
kri
23.05.2008 - 15:44
trampen hab ich noch nie versucht - diese angst vor vergewaltigungen hab ich irgendwie noch nicht überwinden können. mit couchsurfing habe ich bisher aber nur gute erfahrungen gemacht. damit meine ich, wirklich nette und interessante leute kennengelernt.
@daniela:
trampst du denn alleine? wenn ja, hast du gar keine angst? ahh, ich würde das auch so schrecklich gerne mal versuchen! primär wegen dem geld, sekundär weil man - sollte man keinen psychopathen erwischen - in 98% der fälle ganz interessante leute trifft (hörte ich zumindest von vielen anderen trampern)
kennt eigentlich jemand www.bookcrossing.com? ist aber wieder etwas völlig anderes.
Daniela
23.05.2008 - 16:02
Ich habe auch keine jahrelangen Erfahrungen, dennoch: wenn ich trampe, dann meistens alleine. Das liegt in der Natur der Sache, da man sich ja gewöhnlich eher spontan entschließt und selten dasselbe Ziel hat.
Aber hier gibt es Informationen für ErsttramperInnen und sogar eine Mittrampzentrale: http://abgefahren.hitchbase.com/verein
In Deutschland wird dir nichts passieren, wenn du dich nicht gerade mit riesigem Ausschnitt an die Straße stellst. Außerdem gibt es Möglichkeiten - schicke das Nummernschild per SMS an Bekannte, nimm ein Pfefferspray mit. Es gibt Frauen, die sich dann sicherer fühlen.
Hmm... ich könnte jetzt wieder in Larmoyanz darüber verfallen, dass Frauen gezwungen sind, weniger selbstständig zu sein. Als Mann kann man überallhin trampen...
The MACHINA of God
23.05.2008 - 16:14
Als ich mit einer befreundeten Band und dem gemieteten 9-sitzigen Sprinter mal nach einem Konzert von Berlin nach Leipzig zurückgefahren bin, gabelten wir ein Päärchen auf (wir hatten noch exakt 2 Plätze) und nahmen sie mit. Im Endeffekt stellte sich raus, dass sie wegen einer Party nach LE fuhren, zu der wir alle auch wollten.
Die war allerdings so groß, dass wir sie da nciht trafen. :)
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