Zutiefst verzweifelte Lyrik

Ferdinand

30.11.2007 - 20:42

Analog zur verzweifelten Musik hat auch dieser Thread seine Daseinsberechtigung.

Ferdinand

30.11.2007 - 20:45

Und hier das verzweifelste, unheimlichste und düsterste, was ich gerade parat habe:

Jeden Abend vor dem Einschlafen träume ich davon, erschossen zu werden. In Polen.
Diesem dunklen, schweren Land im Herzen Europas.
Die Phantasien sind unendlich süss und schwer.

Irgendwo in einem kleinen Dorf werd ich von drei Männern auf einen etwas abseits gelegenen Acker geführt.
Einer von ihnen steht vor mir und schaut mich an. Ich blicke in ein klares Gesicht mit freundlichen Augen.
Die anderen beiden stehen hinter mir, wobei einer meine Hand hält und leise auf polnisch zu mir spricht. Ich vesteh kein Wort.
Der dritte drückt mir seine Pistole sanft an den Hinterkopf.
So knie ich an diesem warmen Herbstnachmittag in der gesegneten polnischen Erde.

Erschiessungsphantasien in Polen - Unendlich süss und schwer.
Erschiessungsphantasien in Polen - Voll Schmerz und Sehnsucht.

Ich bin mein Leben lang unstet gewesen, ein irrlichterner Nichtsnutz. In die Welt geworfen und immer entwurzelt geblieben.
Und nun, hier in Polen, diesem stolzen, traurigen Land, dem schon so viel angetan wurde, in der milden, roten Abendsonne, empfange ich meine Auslöschung durch die Hände dieser Männer.

Erschiessungsphantasien in Polen - Unendlich süss und schwer.
Erschiessungsphantasien in Polen - Voll Schmerz und Sehnsucht.

Meine Tage vergehen in banaler, immer gleicher Abfolge. Ebenso die Abende, an denen ich eigentlich nur dasitze und trinke. Einzig der kurze Moment vor dem Einschlafen lohnt. Der Moment, in dem mich die Kraft dieses Bildes immer wieder überwältigt und ich mich ihm bedingungslos hingebe. Ich kann nicht anders.

Die schönste, erhabenste Sekunde in meinem Leben dann, wenn endlich der Schuss fällt und mein erlöster Leib in die heilige, polnische Erde sinkt.


Von Heinz Strunk.

these strangers whose faces i know

30.11.2007 - 20:50

Tur mir leid, ich finds einfach nur schlecht :D


Die Todesfuge von Celan hat da wesentlich mehr zu bieten, oder der Panther von Rilke.

Ferdinand

30.11.2007 - 21:00

Findest dus formal schlecht oder inhaltlich? Oder beides?

Also ich finde das ziemlich unbemüht und aufrichtig. Und natürlich sehr umnachtet!

Dass Paul Celan der Meister steht doch ohnehin ausser Frage. Aber Heinz Strunk scheint wohl doch um einiges düsterer und morbider drauf zu sein, als man es ahnen sollte. Was ich ziemlich interessant finde!

Dorian

30.11.2007 - 21:09

danke ferdinand :D

these strangers whose faces i know

30.11.2007 - 21:14

Formal 2.5/10
Inhaltlich 4/10

Vllt muss man ähnlich drauf sein damit sich einem jene Lyrik erschließt? Für mich ist das ein wenig zu viel des Düster-Morbidem, sorry.

Außerdem muss mich etwas formal ansprechen, ansonsten beschäftige ich mich garnicht erst wirklich damit.

"Er schenkt uns ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng"

Das spricht mich mehr an.. von der Thematik her auch sehr bitter.

tom

30.11.2007 - 21:46

Hm, verzweifelte Lyrik. Da fällt mir spontan das letzte Gedicht von Georg Trakl ein, das er kurz nach der Schlacht von Grodek 1914 und kurz vor seinem Suizid schrieb:

Grodek (1914)
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blaue Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nähert heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

lüdgenbrecht

30.11.2007 - 22:39

Unglaublich intensiver und wunderbarer Text, der einen Ozean von Assoziationen auslöst. Trotz formaler Schlichtheit sehr warm und verzweifelt und leicht dem Wahnsinn zugeneigt.

Vor allem hilft mir der Text, Heinz Strunk noch ein bisschen besser zu verstehen und um so mehr zu schätzen!

jcd

30.11.2007 - 23:18

der text von strunk ist jetzt aber keine lyrik im alggemeinen sinn. eher kurzprosa.
aber ich find ihn gut.
besser als das von trakl auf jeden fall.
aber ich kann mit gedichten prinzipiell nichts anfangen.

lüdgenbrecht

30.11.2007 - 23:22

Lyrik vs. Kurzprosa?
Bin ich wohl zu ungebildet, den Unterschied zu erkennen...

Dorian

30.11.2007 - 23:27

besser als das von trakl auf jeden fall.

hä? Trakl vermag wenigstens ordentlich mit Worten umzugehen.

Und nur weil etwas einen Ozean von Assoziationen hervorruft soll es künstlerisch wertvoll sein?

Die BILD ruft bei mir auch einen Ozean von Assoziationen hervor...

Das erinnert mich an diesen 'professionellen Musiker', der mir im 30 Seconds To Mars - Thread auch scheiße für Gold verkaufen wollte.

Naja, Scheisse ist Strunks lyrischer Erguss bestimmt nicht, aber in diesem Fall einfach zu beliebig um irgendetwas besonderes sein.

Für pathetische Todessehnsüchtige ist das aber wohl genau das richtige.

Beowulf

30.11.2007 - 23:30

Sry, bin zu faul es mit eigenen Worten zu schreiben, aber trotzdem bittö:




Prosa(von lateinisch prorsus/ prosa oratio – nach vorn gerichtete schlichte Rede) bezeichnet jene unterschiedlichen Gattungs-Elemente der Literatur, die Beobachtetes, Empfundenes, Erdachtes und Gedachtes mitteilen und mehr oder weniger interpretieren: in einen ausgesprochenen oder unausgesprochenen Sinn-Zusammenhang stellen, erklären, kommentieren, analysieren oder bewerten und die (im Unterschied zu Epos und Lyrik) in ihrer Darstellungsform nicht versförmig sind bzw. keine mehrzeiligen Textgebilde darstellen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Prosa


Als Lyrik (griechisch λυρική (ποίησις) - die zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung) bezeichnet man die dritte poetische Gattung neben der Epik und der Dramatik.
Lyrische Werke nennt man auch Gedichte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Lyrik

Beowulf

30.11.2007 - 23:30

war für lüdgenbrecht gedacht^^

Der Typ aus TV-Total

30.11.2007 - 23:43

@dorian

WATT, WER BIST DU DENN?!

Bär

01.12.2007 - 03:06

Der heißt Horst..

lüdgenbrecht

08.12.2007 - 00:24

Der Text von Heinz Strunk ist wundebar. Einfach toll. Jeder, der sich mit (post)moderner Lyrik beschäftigt, muss darin Substanz erkennen.

schweineohr

08.12.2007 - 10:03

@dorian

der text von trakl ist einfach nur extrem bemüht voller schwülstiger ausdrücke und nichtssagend im vergleich zu strunk. wie man an deinem posting sehen kann, hast du es ja nicht einmal fertig gebracht es zu ointerpretieren.

Der Bär im großen blauen haus

08.12.2007 - 12:13

Strunk ist zu direkt. Die Kunst als Schrifsteller ist es zu zeigen, nicht zu sagen. Ach so und Strunk mit Trakl zu vergleichen ist doch nur lächerlich, da liegen fast hundert Jahre und zig verschiedene Stile dazwischen.

lüdgenbrecht

08.12.2007 - 12:15

Natürlich weiss ich den Unterschied zw. Lyrik und Prosa. Weiß auch nicht, was ich da für einen Blackout hatte... :O

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.