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Buch: Die Arena (Stephen King)

User Beitrag
Leatherface
24.11.2009 - 22:16 Uhr
Zurück zu alter Stärke?
Mekonian
25.11.2009 - 11:10 Uhr
Was passiert, wenn eine Kleinstadt durch eine übernatürliche Barriere von der Außenwelt abgetrennt wird? Amerikas Angst-Experte Stephen King entwirft dazu in seinem monströsen neuen Roman "Die Arena" ein packendes Szenario menschlicher Grausamkeit, das ihn schon seit 30 Jahren beschäftigt.

Stephen King hat auch seinen jüngsten Roman in einem Provinznest angesiedelt. An Stoff für 1280 Seiten mangelt es dort nicht. Wie in "Brennen muss Salem" (1975) und in "Es" (1986) geht es auch in "Die Arena" um eine Kleinstadt-Apokalypse: Rund zweitausend Einwohner hat Chester's Mill, doch seit das Dorf auf rätselhafte Weise durch eine undurchdringliche Kuppel von der Außenwelt abgeschnitten worden ist, sinkt deren Zahl dramatisch. Am Ende sind es Kinder, in deren Händen das Schicksal der Überlebenden liegt.


Natürlich reicht King das Motiv der unsichtbaren Barriere allein nicht aus. So etwas hatte es schon in Marlen Haushofers Roman "Die Wand" (1963) gegeben, aber der Meister des Horrors hat sich eher von Brenngläsern anregen lassen. Auch von Glasterrarien, deren Bewohner mit wachsender Aggressivität und Verzweiflung aufeinander losgehen - und auf sich selbst: "Das Zeug, das aus dem Kopf seiner Mutter gequollen war, hatte wie schimmelige Erdbeermarmelade ausgesehen", erinnert sich ein kleiner Junge. Er kann es nicht fassen, dass sich seine Mutter ausgerechnet in der Küche erschossen hat, also in dem Raum, "in dem sie die meisten Mahlzeiten einnahmen". Diese banale Frage hilft ihm, zu verdrängen, dass es "sie", dass es seine Familie nicht mehr gibt - nur noch ihn allein.

King treibt die Traumata provinzieller Kindheiten zusammen und sperrt sie zu seinen Lesern unter die Kuppel, den "Dome". Und um es dann richtig krachen zu lassen, gibt er auch noch ein paar richtig böse Buben dazu. Während draußen US-Truppen ratlos herumstehen, schwingt sich drinnen der bigotte Provinzpolitiker Jim Rennie zum Herrn der Stadt auf.

Dieser "Big Jim" ist unheimlich erfolgreich, denn zum einen hat er sich mit ergebenen Trotteln und Schlägern umgeben. Zum anderen trägt der weiße Ritter hier statt einer Rüstung zunächst eine Grillschürze. Eigentlich hatte Dale "Barbie" Barbara, Irak-Veteran und Aushilfskoch, die Stadt, in der ihm Rennies Sohn Junior und dessen Freunde eine heimtückische Abreibung verpasst hatten, gerade verlassen wollen. Aber dann war ein unsichtbares Fallbeil niedergesaust. Und damit beginnt der Roman, in dem Barbaras Perspektive Teil eines großen Panoramas aus etlichen Einzelszenen ist.

Trümmer, Leichenteile, tote Vögel

In zweitausend Fuß Höhe schlägt einer Frau die letzte Flugstunde. Ein Waldmurmeltier sieht sich zweigeteilt. Eine Hobbygärtnerin steht ohne Hand da. Überall kollidieren Menschen mit dem unsichtbaren Hindernis. Ihre Flugzeuge, Autos, Körper explodieren. Trümmer, Leichenteile und tote Vögel markieren die Grenze zwischen Chester's Mill und dem Rest der USA.

Schon 1976 habe er versucht, "Under the Dome" zu schreiben, gesteht King im Nachwort, doch er sei nicht über 75 Seiten hinausgekommen. Gescheitert sei er nicht an der Personalausstattung, um die er noch nie verlegen war. Probleme hätten ihm vielmehr "die ökologischen und meteorologischen Auswirkungen der Kuppel" bereitet. Dass er sich doch noch durch alle technischen Fragen durchgebissen hat, ohne dabei ganz bei der Science Fiction zu landen, ist verständlich. "Die Arena" ist sein idealtypischer Stoff, denn King kann Kleinstädte darstellen und Kleinstadtbewohner, ja, er kann das ganz ausgezeichnet, doch mit der großen Welt der großen Städte, Universitäten und Politik weiß er wenig anzufangen.

So hat die unsichtbare Wand, die an dem nach dem Jüngsten Tag (Englisch: "Doomsday") benannten "Dome Day" über die Kleinstadt kommt, alles, was einen King-Roman überladen würde, nach draußen verbannt oder so zurechtgestutzt, dass es zu Chester's Mill passt. Dass es in dem isolierten Städtchen nicht an Notstromaggregaten fehlt, hat mit den Reaktionen auf 9/11 zu tun, deren paranoiden Überschwang Big Jim auf seine Mühlen zu lenken weiß. So wird der vom US-Präsidenten persönlich reaktivierte und zum Colonel beförderte Barbara auf Big Jims Betreiben als angeblicher Serienmörder und Verschwörer eingesperrt. Da hilft es auch nicht, dass der "gottverdammt toughste Army-Cop, der je gedient hat", Barbara einst belobigt haben soll. Dieser toughe Army-Cop namens Jack Reacher nämlich ist eine Romangestalt von Lee Child, dem King hier kollegiale Grüße entbietet.

Horror im Familienkreis

Doch neben Ansatzpunkten für augenzwinkernde Anspielungen liefert Barbaras Misere reichlich Suspense und Stoff für dramatische Befreiungs- und Fluchtszenen. Man kennt diese Konstellation aus der amerikanischsten aller Kunstformen, dem Western, wo der Held in einer korrumpierten Stadt so lange als Bösewicht denunziert wird, bis sich die Fronten zwischen den Guten, den Bösen und den Hässlichen selbst für die Zuschauer in den hintersten Reihen geklärt haben. Nur dauert es hier etwas länger, weil King längst nicht mehr das literarische Pendant zu einem Big Mac mit Pommes serviert, wie er selbst es einst ausdrückte, sondern ein All-You-Can-Eat-Angebot, das in Kooperation mit Steven Spielberg demnächst auch noch um eine TV-Serie ergänzt werden soll.

Dazu passt der selbstironisch im Schaufenster der lokalen Buchhandlung platzierte Slogan "DUNKLE INTRIGEN = LESEVERGNÜGEN" ebenso wie die volle Breitseite eines Product-Placements, das dank "Whoopie Pies" bis zu "Zimt-Graham-Crackers" nicht einmal den Gedanken an Unterzuckerung aufkommen lässt. Indem King selbst die Esssünden seiner Gestalten offenlegt und die Tafelrunde seiner Retter um einige unerschrockene Kids und deren Mütter erweitert, verleiht er dem Horror eine fast familiäre Atmosphäre. Nicht ohne finstere Hintergedanken. Inmitten des beruhigenden Stallgeruchs lässt die zunehmende Eskalation der Handlung auch die finstersten, schmutzigsten und peinlichsten Geheimnisse ans Licht kommen, und die reichen oft weit in die Kindheit der erwachsenen Protagonisten zurück.

Ein Monster von einem Buch

Wenn unter der Kuppel bald ungeniert gemordet und vergewaltigt wird, erscheinen Kings Verbrecher so infantil wie die hemmungslosen Schnäppchenjäger aus "In einer kleinen Stadt" (1991). "Wie zwei Rowdys auf einem Schulhof", denkt der Arzthelfer Rusty, als Big Jims Kreaturen über ihn herfallen. King erzeugt Schrecken durch Regression, durch die Wiederbelebung kindlicher Ängste - und durch den Rückfall mancher Charaktere in eine infantile, polymorph-perverse Freude am Quälen und Erniedrigen anderer.

Kinder quälen Ameisen, Katzen und andere Kinder und erzeugen dabei einen selbstverstärkenden Gruppendruck: "Ich glaube nicht, dass man gegen eine Gruppe ankommt, die zu Grausamkeiten entschlossen ist", sagt Barbies Mitkämpferin Julia kurz vor dem Finale. Hier hebt sich die Käseglocke des Domes und verwandelt sich in ein Vergrößerungsglas. Das zeigt Chester's Mill oder das, was davon übrig ist, als groteske Metapher für alles, was aus Menschen werden kann, die sich gemeinsam gegenüber anderen stark und im Recht fühlen.

"Die Arena" ist ein Monster von einem Buch, nicht nur seines bloßen Umfangs wegen. Unter der Haut dieses Monsters aber verbergen sich keine Knochen und Muskeln, sondern Ängste und Phantasien, die durchaus kindlich, wenn auch nicht im pädagogischen Sinne kindgerecht sind. Und irgendwo zwischen Rauch, Ruinen und Leichen hängt bei King immer auch ein Spiegel, der mit der Inschrift "Erkenne dich selbst" versehen, aber in einem provinziellen Rahmen gefasst ist.



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Stephen King: "Die Arena". Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner. Heyne, München 2009. 1278 Seiten, 26,95 Euro
Nette Idee
26.11.2009 - 03:47 Uhr
Der fiktive Handlungsort hat 'ne Homepage bekommen:

http://www.chestersmill.com/

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